Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

Albrecht Wirth. Deutschlands wirtschaftliche Expansion. 
    
  
  
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Frühere Bestrebungen waren gescheitert, ohne viel Bedeutung zu gewinnen. So die preussi- 
sche Niederlassung an der Guineaküste und auf der Insel Tobago ın Westindien; so die Besetzung 
der Nikobaren und Andamanen, sowie Delagoas (1767) durch Österreich. Die Mahnungen von 
dem Hamburger Syndikus Sieveking, die Chatham Inseeln ım Norden Australiens zu nehmen, die 
Hinweise Friedels 1867 auf Formosa und von Webers auf Delagoa und Südafrika überhaupt (1875) 
verhallten ungehört. Noch 1880 musste Fürst Bismarck darauf verzichten, besonders auf den Wider- 
spruch Bambergers hin, Samoa anzugliedern. Neues Leben kam erst ın die koloniale Bewegung 
durch die Schriften von Hübbe-Schleiden und Faber und namentlich durch die Gründung der 
Deutschen Kolonialgesellschaft unter Hohenlohe. 
Die Sehnsucht nach Kolonien traf auf eine kräftige Woge wirtschaftlichen Aufschwunges. 
Zahlreiche Zollschranken waren durch die Errichtung des neuen Reiches gefallen, ein einheitliches 
Münzsystem war eingeführt. Überall blühte Handel und Wandel. Das in seiner jungen Kraft sich 
fühlende deutsche Reich dehnte und reckte sich, und begehrte nach mehr Raum, um sich ausleben 
zu können. Dazu stachelte zweierlei an: Einmal der Schmerz über den jährlichen Verlust von 
Hunderttausenden deutscher Auswanderer, sodann die Wahrnehmung, dass die anderen Mächte, 
darunter sogar das besiegte Frankreich, sich ein überseeisches Gebiet nach dem anderen einverleibten. 
Bei Frankreich geschah dies unter der bewussten Mitwirkung Bismarcks. Der Kanzler wünschte 
die Augen der Franzosen von dem ‚‚Vogesenloch’” abzulenken, und ermutigte daher Ferry in seinen 
erdumspannenden Plänen, die auf Gewinnung grosser Einflusskreise in Madagaskar, Indochina, 
Nordafrika und am Kongo hin abzielten. Seit 1879 hatte sich das kleine Belgien am Kongo ein 
Reich aufgebaut, das zuletzt um das Achtzigfache das kleine Mutterland übertraf. Russland schritt 
in Mittelasien voran, und England vollends vergrösserte sich in allen Ländern und Meeren. Sollte 
da das deutsche Reich ganz zurückbleiben ? 
Eine Wurzel unserer Kolonialbegeisterung ist nahezu wieder verdorrt. Es war die Hoifnung, 
unsere Auswanderung in weitgehendem Masse nach den neuen Pflanzstaaten zu ziehen. Da wır in 
einem einzigen Jahre, 1881, nicht weniger als 251 000 Landsleute — so nach amerikanischer Rech- 
nung; nach deutscher, die die fremden Häfen, Le Havre und Genua, nicht berücksichtigt, 220 000 — 
allein an die Vereinigten Staaten verloren, so musste die Aussicht, einen so grossen, befruchtenden 
Menschenstrom in unsere Kolonien zu leiten, als etwas Köstliches erscheinen. Auch verquickte man 
vielfach damit moralisch-utopische Erwartungen, dass man, ledig so mancher Fesseln der Über- 
lieferung, ledig bureaukratischer Einschnürungen, auf neuer Erde auch eine vollkommen neue, un- 
verbildete, aus eigener Kraft quellende Lebensgebarung einrichten könne. Diese Blütenträume reiften 
nicht. Der berüchtigteÄssessorismus machte sich in denKolonien breit, und die Bureaukratie lastete 
noch schwerer als ım Mutterland. Eine kopfreiche Auswanderung wollte erst recht nicht einsetzen. 
Heute, ein Menschenalter nach der ersten Fussfassung in Afrıka, zählen wir in unseren sämtlichen 
überseeischen Besitzungen kaum 22 000 Deutsche. Was will das heissen gegenüber einem jährlichen 
Geburtenüberschuss von 850 000? Noch nicht 1/300 dieses Überschusses wurde in den Kolonien 
untergebracht. Für die Zukunft sınd nun zwar die Aussichten besser, allein, selbst wenn man 
sehr vertrauensvoll ıst, wırd man nicht annehmen dürfen, dass mehr als eine halbe Million Deutscher 
ım Jahre 2000 unsere Pflanzstaaten bewohnen werde, sofern diese in ihrer jetzigen Ausdehnung 
verbleiben. Guten Boden für bäurische Sıedler gibt es nur in Südwest, ferner ın Uhehe und am 
Meru und Kilimandscharo. In Südwest aber wird schon ein Mindestkapital von 50 000 M. erfordert, 
um eine erfolgreiche Landwirtschaft zu beginnen. (Während in Marokko 5000 M. dazu genügten). 
Ein gutes Gegenstück liefern die Buren. Sie sind seit dritthalb Jahrhunderten ım Lande, ohne die 
geringste Erwartung, jemals ın die Heimat zurückzukehren, mithin vollständig mit der neuen Heı- 
mat verheiratet und auf sie angewiesen, und trotzdem haben sie es im Laufe dieser langen Zeit 
nur auf 3%, Million von Köpfen gebracht. 
Für Niederlassungen deutscher Bauern kommen also unsere Kolonien nicht in irgendwie 
erheblichem Masse ın Betracht. Die Bedeutung der Kolonien liegt in den Rohstoffen, die ihre Pilan- 
zungen unserem Grossgewerbe, namentlich den Webereien liefern, und in den Metallschätzen. 
Weiter ist der Handel wichtig, obwohl der deutsche Verkehr mit unseren Kolonien wenig mehr als 
die Hälfte von derem Gesamtverkehr ausmacht. Der Gesamt-Handel betrug 1912 an 260 Millionen 
  
  
  
  
  
 
	        
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