Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

_ Albrecht Wirth, Deutschlands wirtschaftliche Expansion. 
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interessierten Mächten ausser acht gelassen wurde, dass er den „Staatlichen Notwendigkeiten“ 
weichen musste. Dergestalt wurde Formosa und Korea so ziemlich gesperrt, und alle französischen 
Kolonien setzten der deutschen, wie überhaupt jeder fremden Einfuhr turmhohe Zölle entgegen. 
In jedem Falle ist der Grundsatz schwankend und in der Praxis der verschiedensten Behandlung 
ausgesetzt. Mitunter ist die Tür nur dazu offen, damit die anderen hinausspazieren. Für Deutschland 
ist es geradezu eine Lebensfrage, dass die Deutung des Begriffes nicht schwanke, denn seine Expansion 
ist auf einen Ring von Klientelstaaten angewiesen, die zwar territorial selbständig, aber finanziell 
und industriell von uns abhängig sind. Auf solche Staaten besitzen wir gewissermassen eine Hypo- 
thek. Sehr vıel kommt dann freilich darauf an, mit welchem Nachdruck beı einem Konkurse der 
Hypothekengläubiger seine Forderungen vertritt. Man rechnet, dass ungefähr 30 Milliarden Mark 
deutschen Kapitales ın dem Auslande arbeiten; davon kommen schätzungsweise je 4 Milliarden 
auf Südamerika und Russland, und °/, Milliarde auf die Türkei. Die Gesamtsumme kommt in 
das richtige Licht, wenn man ihr gegenüberstellt, dass die einheimischen Einlagen in unseren Spar- 
kassen 10%, Milliarden betragen. In diesem Lichte erscheint die Summe sehr bedeutend; England 
lässt 70 bis 75 Milliarden seines Geldes im Auslande arbeiten, das stellt 1/- seines Gesamtvermögens 
dar. Dagegen macht das deutsche Interesse ım Auslande !/,, unseres Volksvermögens aus. 
Schon mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass wirtschaftliche Expansion ein zweischneidi- 
ves Schwert sei. Man stärkt eben dadurch die anderen. Die einstweilen wirtschaftlich Schwächeren 
lernen und ahmen nach, so namentlich die Japaner. Ein Meister muss immer darauf gefasst sein, 
dass sein Geselle sich bald selbständig macht, und als sein Mitbewerber eine Werkstätte gegenüber 
eröffnet. Ja, sogar Nordamerika, das jetzt den bedeutendsten Nebenbuhler Europas darstellt, 
ist lediglich durch Europa gross geworden. Wieso? Nun, in erster Linie dadurch, dass Europa ihm 
für viele Milliarden Getreide, Baumwolle, Obst und Fleisch abkaufte und noch abnımmt. Hierdurch 
wurden die Yankees so leistungsfähig, dass sie daran denken konnten eigene grosse Industrien zu 
errichten. Auch diese stammen fast durchweg von Europa, bis auf die Flugzeuge und Luftschiffe 
herauf. Noch 1890 war die Union ein ausgesprochener Agrarstaat; jetzt ist sie ein ebenso ausge- 
sprochener Industriestaat, jetzt ist sie vollkommen europäjsiert. 
Auf den Stoss folgt der Gegenstoss. Das Ja ıst nach Jacob Böhme nur der Gegenwurf des 
Nein. So sehen wir, dass auch in dem verschlungenen Getriebe des heutigen Imperialismus eine 
jede Wirkung eine Gegenwirkung auslöst, und dass die Fäden der Macht sich in seltsamster Weise 
kreuzen. Eine Waffe des Imperialismus ist die Reederei. Deshalb geniesst sie ja eine Unterstützung 
von Seiten des Staates. Nun ist es eine Tatsache, dass dıe deutsche Ostafrıkalınıe für Güter, die nach 
den kleinen Plätzen Deutsch-Ostafrikas gehen, höhere Preise fordert, als für Güter derselben Klasse 
nach dem entfernteren Beira. Die Linie fördert also dıe Portugiesen auf Kosten des deutschen 
Steuerzahlers. Genau so ist es in der Waffenindustrie, wo doch sonst gerade das Ausland die höchsten 
Preise für Kleinwaffen zahlt, was mit politischen Verhältnissen, mit Aufstand, Schmuggel und der- 
gleichen zusammenhängt. Das hindert aber nıcht, dass eine neue Mauserpistole in Sibirien weniger 
kostet, als in Berlin. Es ist kaum gerechtfertigt, hier die Notwendigkeit, die Konkurrenz zu unter- 
bieten, ins Feld zu führen; denn die gedachte Pistole hat keine nennenswerte Konkurrenz. Der 
Grund ist vielmehr darin zu suchen, dass die Fabrik einfach allgemein, und durch jedes Mittel ihren 
Umsatz zu steigern sucht. Der gleiche Grund ist offensichtlich bei der Politik der Zechen wirksam. 
Garnicht selten führen wir deutsche Kohlen nach Belgien und England aus, und unterstützen da- 
durch ganz klärlich belgische und englische Industrie. Es wäre jedoch nicht angezeigt, jetzt ohne 
weiteres zu sagen: das ıst ein Verbrechen an dem Vermögen des deutschen Volkes! Denn wenn die 
Zeiten flau sind, und die Kohlenförderung bei uns darniederliegt, so müssten von Rechts wegen, 
um einen Ausgleich zu schaffen, Zehntausende von Kohlenarbeitern entlassen werden. Um diesen 
Arbeitern weiterhin ihr ordentliches Auskommen zu sichern, dazu müssen wir eben unseren Gegnern 
und schlimmsten Mitbewerbern ın dem Ausbau ihrer Industrien helfen. Ein gleicher Vorgang ist 
gar oft innerhalb der einzelnen Industriezweige zu beobachten. Die Langendreer Werke erhalten 
einen Regierungsauftrag auf 35 000 Tonnen Stacheldraht für Südafrika. Sie können dem Auftrage 
nicht allein genügen, und beziehen daher eine Menge des bestellten Drahtes aus Belgien. Also trägt 
belgische Industrie dazu bei, die deutsche zu verstärken und zu vergrössern, wobei sie, die Belgier, 
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band II. 18 
 
	        
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