Willibald Stavenhagen, Das Deutsche Volksheer.
295
b) Offizierersatz (einschl. Beamte).
Die Offiziere des Friedensstandes (4 Hauptklassen), deren Zahl jedes Jahr durch den Etat fest-
gesetzt wird (1912 waren es 27 267, künftig werden es etwa 31 500 sein) gehen aus den bei einem Truppenteil
mit Aussicht auf Beförderung zum Offizier von den für die Ergänzung verantwortlichen Regiments- oder selb-
ständigen Bataillonskommandeuren angenommenen Fahnenjunkern aus Kadetten und endlich aus Offizieren des
Beurlaubtenstandes hervor. Ausländer bedürfen besonderer A. Genehmigung. 1912 wurden 1608 Offiziere (einschl.
der in aktiven Stellen verwendeten Offiziere z. D.) angestellt, 1196 verabschiedet.
Das Offizierkorps wird nicht — ebensowenig wie die Unteroffiziere und Mannschaften — auf die Ver-
fassung vereidigt (abgesehen vom Kriegsminister.. Auch ruht für alle Personen des Soldatenstandes unter
den Fahnen die Wahlberechtigung, sie haben nur ein passives Wahlrecht. Den Offizieren steht die Befehls-
gewalt als Ausfluss des Kaiserlichen Oberbefehls zu.
Auf Grund des Reifezeugnisses für die Universitäten oder durch die Fähnrichsprüfung wird der wissen-
schaftliche Bildungsgrad nachgewiesen. Durchschnittlich sind 65 v. H. Abiturienten, 5 v. H. Oberprimaner,
14 v. H. Kadetten und 16 v. H. durch eine sogen. ‚‚Presse‘‘ herangebildete als Aspiranten zu verzeichnen. Nach
Erwerbung eines N nungs- und Dienstausbildungszeugnisses bei der Truppe auf Grund einer mindestens 6 mona-
tigen Dienstzeit erteilt die Ober-Militär-Prüfungskommission das Reifezeugnis, auf das hin der Vorschlag zum
Fähnrich geschieht. Hieran schliesst sich der Besuch einer Kriegsschule (bisher 11, werden in Preussen jetzt um
eine vermehrt) und die Ablegung der Offizierprüfung. Nach souveräner Wahl des Offizierkorps erfolgt
der Vorschlag zur Beförderung bei den Bundesfürsten bezw. Senaten (den Kontingentsherrn), die (mit der Ein-
schränkung des Artikels 64 der Verfassung‘) die Offiziere ernennen. Für Kadetten (11 Kadettenanstalten, die in
Preussen und Sachsen jetzt vergrössert werden) bestehen besondere Vorschriften. Auszeichnung vor dem Feinde
befreit von der Fähnrichsprüfung und fortgesetzt ausgezeichnetes Benehmen im Kriege auch von der des Offiziers.
‚Die Fahnenjunker müssen aus Kreisen genommen werden, in denen der Adel der Gesinnung zu Hause ıst, der
das Offizierkorps zu allen Zeiten beseelt hat. Neben den Sprossen der adligen Geschlechter, neben den Söhnen
Meiner braven Offiziere und Beamten erblicke Ich die Träger der Zukunft Meines Heeres auch in den Söhnen
solcher ehrenwerter bürgerlicher Häuser, in denen die Liebe zu König und Vaterland, ein warmes Herz für den
Soldatenstand und christliche Gesinnung gepflegt werden.” (A.K.O.)
Sorge macht aber lange schon und auch jetzt wieder, wo 4000 neue Offizierstellen auf Grund der Heeres-
verstärkung nötig werden, der Offizierersatz aus geeigneten Kreisen. Schon 1910 gab es im Vergleich
zu den etatsmässigen sehr viele Fehlstellen, so in Preussen 3,04 v. H. (darunter 604 Leutnants), Bayern 3,08 v. H.
(63 Leutnants), Sachsen 8,97 (60 Leutnantsstellen). Schuld daran trägt vor allem die fortbestehende schlechte
und ungerechte Versorgung der inaktiven Offiziere durch Arb-it und neue Berufsstellen, bezüglich der
Altpensionäre aber namentlich auch durch unzureichende Pension, die sie und ihre Angehörigen und Hinter-
bliebenen drückendster Not aussetzt und gegen ihre jüngeren Kameraden benachteiligt. Aber auch die Beför-
derung des Aktiven liess zu wünschen übrig, und es lag die Gefahr vor, dass sie, besonders bei der Hauptwafte,
der Infanterie, in den Hauptmanns- und Stabsoffizierstellen, denen der wichtigste und anstrengendste Teil der
Ausbildung obliegt, in einer die Kriegstüchtigkeit beeinträchtigenden Weise überaltern. Erst nach 16jähriger
Leutnantszeit, mit 36—38 Jahren, wurde der zweite Stern und die Kompagnie- oder Schwadronchefstellung,
mit 48 Jahren etwa der Major erreicht, statt des Regimentskommandeurs (bei den , ,‚Frontoffizieren‘‘, die ,, Springer“
kamen natürlich früher in die höhere Stellung). Nur die Generalität war jung (51—57, Kommandierende
Generale also von 57 Jahren). Hierin dürfte das neue Wehrgesetz Wandel schaffen und verjüngend wirken. Der
Leutnant dürfte etwa 21, Jahre bis zum Hauptmann ersparen.
Das schon 1813 als ‚‚Freiwillige Jäger‘ Scharnhorsts entstandene, besonders 1866 und 70/71 bewährte
OÖffizierkorps des Beurlaubtenstandes (Reserve- und Landwehroffiziere), mit dem Preussen
allen Staaten als Vorbild gedient hat, ist bei einem Volksheer besonders wichtig. Und sehr, vielleicht
in noch höherem Grade, namentlich im Kriegsfall, das an gutem Geist und Friedenserfahrung dem aktiven eben-
bürtige, an eigener Kriegserfahrung ihm heute im langen Frieden weit überlegene inaktive Offizıer-
korps. Es ist zugleich der Hauptträger unserer wissenschaftlichen Militärliteratur und hat Koryphäen von
Weltruf in seinen Reihen.
Neben dem eigentlichen Offizierkorps besteht noch ein Sanitätsoffizierkorps (2367 Köpfe)
mit dem Generalstabsarzt der Armee?) alsChef an der Spitze, dem Sanitäts-Inspektionen, deren jede einen mehrere
Armeekorps umfassenden Geschäftsbereich hat, unterstellt sind. Es ist grossenteils auf der Kaiser Wilhelms-
Akademie herangebildet, und aus ihm sind viele der hervorragendsten Kapazitäten des Deutschen Aerztestandes
hervorgegangen. Der gute Gesundheitszustand unserer Armee ist der beste Beweis für die grosse Tüchtigkeit
dieses sehr bedenkliche Lücken aufweisenden verdienten Offizierkorps.®®) Infolge der Doppelnatur als Arzt und
24) Er ist zugleich Chef der Medizinalabteilung des Kriegsministeriums und Direktor der Kaiser-Wilhelms-
Akademie für das militärärztliche Bildungswesen. Ihm sind auch das Sanitätsamt der militärischen Institute und
die Genesungsheime für deutsche Offiziere und Sanitätsoffiziere in Arco und Falkenstein unterstellt.
25) Von 317626 insgesamt 1909/10 behandelten Mannschaften des Deutschen Heeres sind 290 464 in
militärärztlicher Behandlung gewesen und wieder dienstfähig geworden und nur 598 = 1,9 v. T. der Behandelten
bzw. 1,1 v. T. der Kopfstärke des Deutschen Heeres gestorben. Von venerisch Erkrankten wurden rund 87 v.H.
wiederhergestellt. Bei den unter Chefärzten stehenden Garnisonlazaretten und Sanitätsdepots sind »tabs-
apotheker angestellt. Ä