302 P. Koch, Bestand und Mehrung der Kriegsmarine.
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Ausbau der Marineanlagen am Lande: Docks und eine dritte Einfahrt in Wilhelmshaven, eine
Nordwerft ın Kiel, eine Vervollständigung in Danzig, sowie dıe Errichtung der notwendigen Kasernen,
Lazarette und Bildungsanstalten. Für letztere griff dıe Verwaltung auf die früher noch nicht
beanspruchten Strände und Reeden von Flensburg und Sonderburg über. Gleichzeitig wurde dem
Ausbau der Küstenbefestigungen insbesondere ın der Nordsee entsprechend Rechnung getragen.
Die im Jahre 1906 eingebrachte Gesetzesnovelle, welche die noch fehlenden Auslandskreuzer
forderte, fand unbestrittene Annahme, denn der Flottengedanke war seither dem deutschen Volke
durch fortgesetzte Aufklärungsarbeit durch die überzeugende Macht der Tatsachen und nicht
zuletzt durch den Ausblick auf die unverdrossene zielbewusste Arbeit innerhalb der Marine
in Fleisch und Blut übergegangen. Eine letzte Ergänzung fand endlich die gesetzliche Grundlage
des Flottenausbaus durch die mit dem Etat für 1908 angeforderte Änderung, indem die im
Gesetz von 1900 festgesetzten Dauerzeiten der Schiffe einheitlich auf nur noch 20 Jahre
bemessen wurden. Die ältere Festsetzung, die für dıe Linienschiffe 25 Jahre verlangte, trug den
Wandlungen der Technik nicht in genügendem Masse Rechnung, zumal das zu ersetzende Schiff,
bis der Neubau nach Absolvierung seiner Probefahrten in die Schlachtlinie eintreten konnte, fast
30 Jahre lang auf seinem Posten ausharren musste.
Inzwischen war, nicht völlıg unvermittelt aber doch nach allen Seiten bedeutungsvoll,
ein sehr erheblicher Umschwung ın den Schiffstypen ın die Erscheinung getreten. In der
Hoffnung, einen nicht einzuholenden Vorsprung zu erlangen, hatte England schon 1905 einen
folgenschweren Schritt getan, indem es ein im Deplazement und der Zahl seiner schweren
Geschütze erheblich gesteigertes Linienschiff, den ‚„Dreadnought” auf Stapel legte, der mit der
Gewalt seiner Breitseite allen vorhandenen Linienschiffen der fremden Marinen überlegen
sein sollte.
Die britische Admiralität hatte nicht bedacht, dass es angesichts dieses Schrittes auch für
die übrigen Seemächte kein Zurück gab, und dass vor allem die deutsche Marineverwaltung, deren
Werften in ihrer Leistungsfähigkeit den englischen kaum nachstanden, durch nichts behindert
war, ihr auf dem beschrittenen Wege zu folgen. Wie sehr sıch für England die Frage der unbestritte-
nen Vormacht auf den Meeren hierdurch verschärfte, wie der Unmut und die Sorge des englischen
Volkes in schlimmen Hetzereien und Verdächtigungen gegen Deutschland zum Ausdruck kamen,
ist heut so gut wıe vergessen. Es genügt zu erwähnen, dass bereits die Schiffe des Etats
für 1906 dem ‚Dreadnought”” im Deplazement folgten, und dass nach Fertigstellung des
ersten Geschwaders derartiger Schiffe, der sogenannten ‚„Nassau”-Klasse, dıe nächste Gruppe
sich die inzwischen gewonnenen Erfahrungen und Verbesserungen zu Nutze machte, dergestalt,
dass die älteren schwächer armierten Schiffe mit der Zeit ganz in die Reserveformationen
zurückgezogen werden konnten. Die Kritik des Auslandes an unserer Marinepolitik kann uns
nur den Beweis erbringen, dass wır uns auf dem rechten Wege befinden, und dass unsere Flotte
mehr und mehr ein geeignetes Werkzeug geworden ist, uns, wie das Gesetz es wollte, den
„Frieden in Ehren’ zu wahren. Der Erörterungen über dıe Verhältniszahl zwischen den englischen
und deutschen Linienschiffen sei gedacht, sie haben ebenso wie die Frage des ‚Feierjahrs‘“
nur akademische Bedeutung.
Entsprechend der Durchführung des gesetzlichen Bauplanes wurde auch die Organisation
der Flotte in Gemässheit dieser Grundlage ausgestaltet. An die Stelle der alten nur vorübergehend
zusammentretenden Übungsflotte trät die aus einem Flottenflaggschiff und zwei Geschwadern
von Linienschiffen gebildete und dauernd ım Dienst befindliche Hochseeflotte. Zu dieser gehören
zwei Gruppen von Aufklärungsschiffen, aus grossen und kleinen Kreuzern gebildet, und die aus
je zwei Halbflottillen zusammengesetzten Torpedobootsflottillen, während die Stammschiffe der
Reservedivision organisatorisch als zu den Stationskommandos gehörig betrachtet wurden, und
nur gelegentlich ıhrer Aktivierungen zur Flotte treten.
Die Durchführung des Bauplanes hat es in letzter Zeit nunmehr auch ermöglicht, das Rück-
grat unserer überseeischen Vertretung, das sogenannte Kreuzergeschwader, mit modernen grossen
Schiffen auszustatten, während allerdings die einzelnen Auslandsstationen zum Teil noch immer
mit älteren in ihrer Gefechtskraft minderwertigen Fahrzeugen besetzt sind.