Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
318 Adalbert Wahl, Das zeitgenössische Frankreich. 
  
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in allen internationalen Angelegenheiten in einer bis ıns Einzelne bestimmten Abhängigkeit von der 
englischen Regierung. — Das kanadische Flottengesetz wurde von dem neuen konservativen Mini- 
sterium Borden suspendiert, und 1913 wurde eine neue Vorlage eingebracht, welche sich dem Stand- 
punkt der englischen Admiralität weit mehr annäherte. Aber da die Konservativen im Senat über 
keine Mehrheit verfügten, hat die Bill bisher keine Gesetzeskraft erlangt. Inzwischen hat Australien 
den ersten Teil seines Flottenprogramms durchgeführt; und neuerdings hat auch Neuseeland die 
Absicht bekundet, eine eigene Flotte zu bauen. 
Die ganze Erörterung des imperialistischen Problems hat sich in der letzten Zeit auf 
die Wehrfragen und die auswärtige Politik des Reiches konzentriert. Man ist in England mehr 
und mehr geneigt geworden, den autonomen Kolonien einen grösseren Einfluss auf die auswärtige 
Reichspolitik zuzugestehen, und tatsächlich haben die Dominions bereits angefangen, die allgemeine 
Orientierung der englischen Politik zu beeinflussen. Das ıst zunächst natürlich nur in ganz allge- 
meiner Weise möglich, aber es ıst eine Tatsache, dass die neue Tendenz der englischen Politik, sich 
weniger als in dem letzten Jahrzehnt ın den Fragen der europäischen Kontinentalpolitik zu inte- 
ressieren, auch durch die Haltung der Dominions bestimmt worden ist. Der Einfluss, den England 
den Dominions bei der allgemeinen Orientierung seiner auswärtigen Politik gewährt, ist die Gegen- 
leistung für die marıtıme Unterstützung, die es von ihnen erwartet; die maritime Unter- 
stützung der Kolonien soll England den Ersatz für ein kontinentales Bündnis bieten. Was die 
künftige Gestaltung der Reichsverfassung betrifft, so erwartet man alles voneiner organischen 
Entwicklung, indem die einzelnen, ad hoc vereinbarten Kooperationen zwischen Mutterland und 
Dominions massgebende Präzedenzfälle bilden würden, woraus eine Gewohnheit des Zusammen- 
wirkens und schliesslich ein dauernder Verfassungszustand entstehen würde. Die Hoffnungen 
der Imperialisten knüpfen sich hauptsächlich an die seit 1903 bestehende Institution. des Reichs- 
verteidigungsausschusses (Imperial Defence Committee), der als eine rein beratende Behörde für 
Wehrfragen dem englischen Premierminister attachiert ist. Zu den Beratungen dieses Ausschusses 
sind wiederholt koloniale Minister geladen worden. Undbesonders deutlich traten seine Wirksamkeit 
und die Möglichkeiten seiner Entwicklung vor Augen, als im Sommer 1912 der kanadische Premier- 
minister mit ein paar seiner Kollegen an den Beratungen teilnahmen, um die von ihnen geplante 
Flottenvorlage mit den englischen Ministern zu beraten, wobei auch die Lage der auswärtigen 
Politik erörtert wurde. In jedem Falle ıst eıne Trennung der Kolonien ın absehbarer Zeit schon 
aus dem Grunde nicht zu erwarten, weil sie in der Ara der modernen Weltpolitik ihre frühere Iso- 
lierung verloren haben und mit ihren gegenwärtigen Machtmitteln ihre selbständige politische und 
nationale Existenz nicht behaupten könnten. 
  
  
  
100. Abschnitt. 
Das zeitgenössische Frankreich. 
Von 
Dr. Adalbert Wahl, 
o. Professor der Geschichte an der Universität Tübingen. 
  
  
  
Literatur: 
G. Hanotaux, Histoire de la France contemporaine (1871—1900), bisher 4 B. Paris 1904 —1908. 
G. K. Anton, Die Entwickelung des französischen Kolonialreichs. Eın Vortrag, Dresden 1897. A. Zimmer- 
mann, Die europäischen Kolonien. 5 B. Berlin 1896—1903 (Bd. 4: Frankreich. A. Rambaud, Jules Ferry. 
Paris 1903. G. Egelhaaf, Geschichte der neuesten Zeıt vum Frankfurter Frieden bis zur Gegenwart. Stutt- 
gart 1908. Schulthess, Europäischer Geschichtskalender, erscheint jährlich seit 1860, zuletzt 1912, seit 1909 
heg. v. L. Riess, 
  
	        
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