Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

    
3930 Adalbert Wahl, Das zeitgenössische Frankreich. 
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lısmus durch dıe Trennung von Staat und Kirche und dıe Art und Weise ihrer Durchführung die bis 
dahin freundlichen und förderlichen Beziehungen Frankreichs zur Kurie zerstört hat. 
Ist so die auswärtige Politik Frankreichs, soweit sie sich auf die Verhältnisse Europas richtet 
— eine Politik des Abwartens einer günstigen Gelegenheit — durchaus steril, so gilt dieses Urteil 
keineswegs von der französıschen Kolonialpolıitik. Diese bietet vielmehr das Bild einer 
grossartigen Expansion dar, dıe von England, abgesehen von einigen Episoden (z. B. Faschoda, 
vgl. oben) ın allen ıhren Phasen geduldet worden ist, auch unter dem Gesichtspunkt, dass es sich 
für Frankreich doch nıemals mehr um die erste Stelle ın der Kolonialherrschaft handeln könne. 
Um die Gründung eines neuen Kolonialreichs seit 1815 haben sich die legitimen Bourbonen (Karl X.) 
noch 1830 durch die Eroberung der Stadt Algier und eines Teiles des Landes das entscheidende, 
bahnbrechende Verdienst erworben. Es folgten Louis-Philippe, — dieser noch am wenigsten ener- 
gisch — mit der Fortsetzung der Unterwerfung Algeriens und mit Festsetzungen in der Südsee, 
Napoleon III. und, noch weit erfolgreicher, die dritte Republik. Napoleon III. unterwarf die letzten 
aufrührerischen Stämme Algeriens, er dehnte dıe Senegal-Kolonie, ebenso wie den Südseebesitz 
bedeutend aus; unter ınm wurde Gabun besetzt und so der Grund zum französischen Kongoreiche 
gelegt; er suchte, freilich vergebens, auf Grund der alten Niederlassungen auf Madagaskar die Insel 
wirklich zu beherrschen, vor allem aber fasste er ın Hinterindien und zwar in Annam Fuss, wo schon 
Anknüpfungen aus der Zeit Ludwigs XVI. her vorlagen. 1863 erwarb Frankreich hier Nieder- 
cochinchina und Cambodja. Einen noch viel grösseren Umfang nahmen die kolonialen Erwerbungen 
unter der dritten Republik an, die ın Jules Ferry (Ministerpräsident 1880/1 und 1883/5) wenigstens 
einen grossen kolonialen Minister fand. Er bahnte die wirkliche Unterwerfung Madagaskars an 
(endgültig erworben 1896); er dehnte den hinterindischen Besitz bedeutend aus, indem er Tonking 
zuCambodja und Niederconchichina hinzuerwarb (1885). Von hier aus erstreckt sıch der französische 
Einfluss auch auf Yünnan, die südlichste Provinz Chinas. Eın weıteres Ziel der französıschen 
Politik in Hinterindien ist die Beherrschung Sıams, bei dem aber Frankreich voraussichtlich nach 
wie vor mit einer scharfen Konkurrenz Englands zu rechnen haben wird. Den grossartigsten Mass- 
stab aber hat die französische Expansion in Afrıkaangenommen. Freilich ist Frankreich hier auch 
mancherlei misslungen. Schon Ludwig XIV. hatte von dem Erwerb Ägyptens geträumt; Choiseul, 
der geniale, viel zu wenig ın seiner Bedeutung erkannte Minister Ludwigs XV., hatte den Gedanken 
aufgenommen, Napoleon I. dann das Land auf ein paar Jahre erobert. Im Jahre 1880 schien es, 
als sollte der alte Traum verwirklicht werden. Da aber hat die Fehlerhaftigkeit der französischen 
Staatsorganısation und die Parteileidenschaft dıe Beute den Engländern zufallen lassen. Miıt 
Ägypten verloren die Franzosen auch das rote Meer, an dessen Südostausgang die Engländer Aden und 
Perim rechtzeitig besetzt hatten; auch die frühzeitige Festsetzung ın Obok (Französısch-Somalıland) 
durch Napoleon Ill. (1857) konnte daran nichts ändern. Von dem grossartigen Gedanken Napoleonsl., 
sich alle fünf Reiche des Nordrandes Afrıkas anzueignen, musste aber noch mehr geopfert werden. 
Zwar kam zu dem Besitz Algeriens ı. J. 1881, ebenfalls unter dem Ministerium Ferry, das Protektora. 
über Tunis, dem England und Deutschland zugestimmt hatten. Aber Tripolis musste Italien zuge- 
sprochen werden. Es war der Preis, den Frankreich dafür zahlen musste, dass ihm Italien freie 
Hand in demfünften, westlichsten, derfünf genannten Reiche, ın Marokko, liess. Abernoch drei weitere 
Mächte liessen sıch für dasselbe Zugeständnis bezahlen: dass En glandım Jahre 1904 von Frank- 
reich endlich Ägypten zugesprochen wurde, ist schon gesagt worden. In demselben Jahre stellte 
Frankreich Spanien einen wertvollen Küstenstrich N ordmarokkos, gegenüber der spanischen 
Küste, in Aussicht; ın späteren Verhandlungen hat Frankreich allerdings versucht, diesen 
wertvollen Erwerb Spaniens wieder rückgängig zu machen oder wenigstens einzuschränken. 
Schliesslich hat sich Deutschland ın den Verhandlungen des Sommers und Herbstes 
1911, die am 4. November zum Abschluss zweier Verträge führten, dafür, dass es Frank- 
reich das Recht zusprach, ein Protektorat über Marokko zu errichten, zweierlei be- 
willigen lassen: ein Gebiet ın der Grösse der Hälfte des Deutschen Reiches ım Französischen 
Äquatorialafrika, und Garantien für die deutsche wirtschaftliche Betätigung in Marokko selbst, 
welche es Frankreich dort unmöglich machen werden, seine sonst übliche koloniale Wirtschafts- 
politik (s. unten) einzuführen. Auch sonst ıst Frankreich in Afrika mancherlei misslungen: so, end- 
  
 
	        
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