Paul Herre, Österreich-Ungarn seit 1866.
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reich-Ungarn die gewonnene Position und gab die Möglichkeit für einen weiteren Neubau. Das
Bündnis mit Deutschland, das sıch durch Italiens Beitritt am 20. Mai 1883 zum Dreibund erweiterte,
blieb fortan die Grundlage aller auswärtigen Politik und bildet noch heute ihren Lebensnerv.
Weitere Schritte auf dem Balkan vorwärts zu tun hat man trotzdem zunächst unterlassen.
Es folgten die Jahre der Nationalıtätenkämpfe, die ein volles Einsetzen der staatlichen Macht nach
aussen hinderten, und es bleibt sogar zu bewundern, mit welcher Geschicklichkeit Andrassys Nach-
folger Kälnoky und Goluchowsky dıe staatliche Stellung der Donaumonarchie zu behaupten wussten.
Bestimmend für die Richtung der auswärtigen Politik blieb der Gegensatz gegen Russland. In meh-
reren Verträgen sah sich das Zarenreich gezwungen, Österreich-Ungarn auch für die völlige Annexion
Bosniens und der Herzegowina freie Hand zu geben, und nur wieder in Rücksicht auf die inneren Ver-
hältnisse und auf dıe Pforte nahm man von der Ausführung Abstand. Immer wieder stellte man sich
dem russischen Vorgehen nach Süden entgegen. Gegen das in russischer Abhängigkeit befindliche
Bulgarien wurde Serbien ausgespielt, und die Erhebung des Prinzen Ferdinand von Coburg zum
Fürsten von Bulgarien (7. Julı 1887), die nach einem heftigen, bis nahe an den Kriegsausbruch
getriebenen Konflikt erfolgte, bedeutete ein Zurückdrängen des russischen Einflusses, wenn dieser
Sieg Kälnokys auch durch den Rücktritt Milans in Serbien (2. Juli 1889) abgeschwächt wurde.
Jedenfalls wurde ın den Krisen dieser 10 Jahre die Erhaltung des status quo gegen Russland durch-
gesetzt. Das Mürzsteger Programm von 1903 bildete die formelle Sanktion.
Zu dem russischen Gegner gesellte sich indessen gerade damals ein zweiter: Italien. Es war
unzweifelhaft ein bedeutender Gewinn für Österreich-Ungarn, dass sich Italien dem deutsch-öster-
reichischen Bündnis anschloss, wurde doch damit die Irredenta, die auf die italienische Regierung
einen beherrschenden Einfluss auszuüben strebte, lahm gelegt. Aber indem der nach neuem Raum
verlangende Staat auf die Gegengestade der Adria ein Auge warf, trat zu den Streitfragen um den
entgiltigen Besitz des Trentino und Triests die um den Besitz Albaniens. Während Bismarck in
der Krise von 1886/87 noch durch Aufstellung einer Demarkationslinie einen Ausgleich zwischen
Russland und Österreich-Ungarn hatte schaffen wollen, so dass die Osthälfte der Balkanhalbinsel
dem russischen Einfluss, die Westhälfte dem österreichischen Einfluss vorbehalten worden wäre,
entwickelte sich nun ein engeres westbalkanisches Problem, das einen politischen und wirtschaft-
lichen Gegensatz zwischen der Donaumonarchie und dem verbündeten Italien zum Inhalt hat
Man musste das wirtschaftliche Eindringen des Verbündeten über Montenegro nach Albanien zu-
lassen und sah sıch ın dem eigenen aussichtsvollen Vorgehen nach Salonıkı hin behindert; die
Verhältnisse im Innern und die allgemeine Weltlage liessen ernste Abwehrmassregeln nicht zu,
eine wachsende Entfremdung zwischen den Verbündeten war jedoch die unvermeidliche Folge.
Auch in den Gegensätzen der westbalkanischen Frage war es Österreich-Ungarns eifriges
Bestreben den status quo zu erhalten. Erst der Sieg der jungtürkischen Bewegung und die Gewäh-
rung einer Verfassung in der Türkei veranlassten die österreichische Diplomatie, die von dem rührigen.
Grafen Aehrenthal geschickt vertreten wurde, wenn auch nicht den Geist, so doch den Wortlaut der
Berliner Kongressakte zu verletzen. Am 5. Oktober 1908 wurde unter Verzicht auf die Öster-
reich zustehenden Rechte auf den Sandschak Novibazar, woran Italien seine Zustimmung
gebunden haben dürfte, dıe Annexion Bosniens und der Herzegowina durch die Donaumonarchie
ausgesprochen und nach Überwindung grosser Schwierigkeiten bei den europäischen Mächten und
der Pforte zur Anerkennung gebracht. Der Schritt war nach der einen Seite ein Vorrücken, indem
er einen tatsächlichen Zustand zu einem rechtlichen machte, aber er war auch ein Zurückgehen,
indem der gegen Süden vorgesetzte Fuss ein grosses Stück zurückgenommen wurde. Seitdem
hat man sich von neuem zurückgehalten und man hat in der grossen Krise des Balkankrıeges
von 1912—13 immer von neuem gezeigt, dass man keine unberechtigten Wünsche hegt. Aber
auf der anderen Seite ist dem unerschütterlichen Festhalten an der Balkanmission immer erneuter
Ausdruck gegeben worden. Die Durchführung einer status quo-Politik war angesichts der über-
raschenden Erfolge der Balkanstaaten allerdings bald nicht mehr möglich. Das Nachwirken einer
überlebten politischen Tradition, die das Südslawentum zur Donaumonarchie ın scharfen Gegensatz
stellte, zwang zur Politik des Abwartens, und man musste sich begnügen, andere Grossmächte,
namentlich das mit panslawistischen Tendenzen operierende Russland von selbständigen Schritten