Felix Rachfahl, Dreibund und Dreiverband.
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1870/71 die wohlwollende Neutralität Russlands unzweifelhaft gewesen war. Diese Verstimmung
wurde noch dadurch gesteigert, dass Bismarck damals zu zweien Malen, während des Kongresses und
bald nachher, eın ınm von Russland angebotenes Bündnis ablehnte. Russland stand damals ganz
isoliert; Österreich und England waren seine ausgesprochenen Gegner, und auch Frankreich nahm in
der Orientpolitik Stellung wider das nordische Reich ; um so schmerzlicher empfand man die deutsche
Absage. Für Bismarck war esdabei das Entscheidende, dass ihm ein Bund mit Russland für Deutsch-
land nicht genug Schutz und Nutzen zu gewähren, dagegen der Bildung einer Koalition der übrigen
Mächte Vorschub zu leisten schien, deren Bekämpfung lediglich im russischen Interesse gelegen
hätte, so dass Deutschland dabeı der gebende Teil gewesen und Russland gegenüber in eine Art
von dienendem Verhältnisse geraten wäre.
U. Die Entstehung des deutsch-österreichischen Zweibundes von 1879 und seine Erweiterung zum
Dreibunde 1882.
Durch den Berliner Kongress und die Ablehnung der russischen Bündnisanträge von 1878
war der Draht zwischen Berlin und St. Petersburg gerissen, und der Verlauf der Entwicklung
zwang Bismarck bald, noch weitere Konsequenzen aus seiner bisherigen Politik zu ziehen, d. h.
Österreich die Hand zum Bunde gegen Russland zu reichen. Die Reibungsflächen zwischen Russ-
land und Deutschland vermehrten sich, zumal bei der Ausführung der Berliner Kongressbeschlüsse ;
auf russischer Seite beschwerte man sich über die dabei tätigen deutschen Kommissare; schliess-
lıch ging man zu Drohungen über, als deren Höhepunkt ein direkter Brief des Zaren (vom 15. August
1879) an Kaiser Wilhelm I. erscheinen musste. Sie bestärkten zusammen mit den grossen Rüstungen,
die Russland eben damals an seiner Westgrenze vornahm, und die nur gegen Deutschland oder
Österreich gerichtet sein konnten, und bei dem Einflusse, dessen sich der als Deutschenhasser
bekannte Kriegsminister Miljutin in Russland damals erfreute, Bismarck in der Überzeugung, dass
sich dieses auf einen ‚‚Krieg mit Europa“ einrichte. Gegen diese Gefahr glaubte Bismarck ein festes
Bündnis mit Österreich begründen zu müssen, und auf seine Anregung hin fanden erste Be-
sprechungen darüber zwischen ihm und Andrassy vom 26. bis zum 28. August in Gastein statt, die
Mitte September in Wien fortgesetzt werden sollten. Es gab dabei freilich eine Hauptschwierigkeit
für Bismarck, nämlich den Kaiser Wilhelm für den Plan zu gewinnen. Dieser war mit seinem Neffen,
dem Zaren, aufs ıinnigste befreundet, und Alexander II. hatte inzwischen eingesehen, dass er mit
seinem Briefe vom 15. August den Bogen überspannt hatte. Er gab darüber beschwichtigende Er-
klärungen ab, und es fand darauf am 3. September zu Alexandrowo bei Thorn eine Zusammenkunft
der beiden Kaiser statt, durch die Wilhelm I., von des Zaren Liebenswürdigkeit ganz bestrickt, in
eine so „russische Stimmung‘ versetzt wurde, dass Bismarck mit Mühe und Not die Vollmacht zur
Fortführung der Verhardlungen mit Österreich erlangen konnte: während Andrassy Russland als
Gegenstand des deutsch-österreichischen Schutzbündnisses besonders und sogar allein genannt
wissen wollte, sollte Bismarck zum mindesten ein solches nur ganz allgemein hin abschliessen
dürfen; trotzdem akzeptierte Bismarck im Wiener Vertragsentwurfe, der nach dreitägiger Verhand-
lung am 24. September zustande kam, die österreichische Fassung. Lange und heftig sträubte sich
Wilhelm I. gegen die Vollziehung des Traktates; es bedurfte des entschiedenen Eintretens des
Kronprinzen und Moltkes, sowie des Demissionsangebotes nicht nur Bismarcks, sondern auch des
gesamten Staatsministeriums, bis sich der Monarch dazu (am 16. Oktober 1879) verstand.
Vollauf war sich Bismarck der weltgeschichtlichen Bedeutung des deutsch-österreichischen
Bündnisses bewusst, das somit zustande gekommen war. Es war sein Wunsch gewesen, dass es als
ewig und unauflöslich festgestellt würde. Daher wollte er, dass es von den zuständigen drei Parla-
menten, dem deutschen, österreichischen und ungarischen Reichstage, sanktioniert würde, — das
schien ihm eine Rückkehr zu dem Zustande zu sein, wıe er bis 1866, bıs zur Auflösung des deutschen
Bundes bestanden hatte, und dadurch wäre in der Tat die 1848er Idee vom engeren und weiteren
Bunde verwirklicht worden. Dieser Gedanke war nun freilich schon dadurch unausführbar geworden,
dass der deutsche Vorschlag eines allgemeinen Schutzbündnisses dem österreichischen einer nur
antirussischen Defensivallianz weichen musste; auch wollte man in Österreich-Ungarn nicht die
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