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Felix Rachfahl, Dreibund und Dreiverband.
auswärtige Politik in die parlamentarische Machtsphäre gerückt wissen, und wer könnte dafür
garantieren, dass sich nicht einmal im Wiener Reichsrate eine Mehrheit findet, die vom Bündnisse
mit Deutschland loskommen will® Immerhin wurde diesem ein höherer Grad von Bestand und
Festigkeit dadurch verliehen, dass es nach Ablauf seiner vertragsmässigen Dauer, falls nicht eine
ausdrückliche Kündigung erfolgen würde, von selber auf eine bestimmte Frist weiterlaufen, dass
also sein Erlöschen einer ausdrücklichen Kündigung bedürfen sollte. Es gab Österreich eine
Deckung gegen eine russische Offensivpolitik, auch auf dem Balkan; für Deutschland lag sein
Hauptwert in dem Schutze, dass es gewährte, wenn einmal eine künftige franko-russische Allianz
soweit gehen sollte, einen Angriffskrieg gegen das neue Reich zu unternehmen.
Zum Zweibunde gesellte sich nach wenigen Jahren als dritte Macht Italien. Von vornherein
hatte es nicht den Anschein, dass es so schnell dazu kommen würde. Zwischen Österreich und
Italien bestand wegen der ırredentistischen Agitation, die auf die Erwerbung der italienischen
Volks- und Sprachgebiete der Donau-Monarchie gerichtet war, ein ausgesprochener Gegensatz;
auch regten sich in Italien alte und festeingewurzelte Sympathien für das stammverwandte Frank-
reich, und es herrschte in Italien Neigung, sıch einer russischen Kriegspolitik anzuschliessen, wenn
ıhm dafür Landgewinn zumal an der adrıatıschen Ostküste geboten würde. Erst der Ausbruch eines
wirtschaftlichen und dann auch politischen Gegensatzes zwischen Frankreich und Italien trieb diese
Macht an Deutschland heran. Es begann ein Zollkrieg, der insonderheit den italienischen Weinbau
durch Beschränkung der Ausfuhr nach Frankreich schädigte; massgebend wurde sodann die Be-
gründung des französıschen Protektorates über Tunis; denn hier hatte Italien grosse Interessen,
hier waren unter der europäischen Bevölkerung die Italiener am stärksten vertreten; es wurde auch
durch dieses Ereignis Italiens Mittelmeerstellung bedroht. Demgegenüber suchte Italien Anlehnung
an Deutschland, und Bismarck war dazu bereit, wenn Italien auch mit Österreich als Deutschlands
Bundesgenossen eine Allianz schlösse. In der Tat schloss Italien (1882) zweı Verträge, einen mit
Deutschland und einen zweiten (unter Berücksichtigung der Balkanverhältnisse) mit Österreich,
der für dieses Reich den Vorteil brachte, dass dadurch die ırredentistischen Treibereien ım Zaume
gehalten wurden. Auch diese Traktate hatten einen rein defensiven Charakter; sie sollten Italien
seinen Gebietsstand garantieren; zugleich sagten sich Deutschland und Italien ım Falle eines fran-
zösischen Angriffes Beistand zu, während für Österreich und Deutschland nur ein russischer Angriff
casus foederis blieb. Die Mitte des Festlandes war also durch ein grossartiges System von Defensiv-
Allianzen gleichsam zu einer festen Bastion zur Erhaltung des Friedens ın Europa ausgebaut worden,
und die imposante Stellung des Dreibundes wurde noch durch die Versicherung Englands verstärkt,
„eine Veränderung des status quo ım Mittelmeere nıcht dulden, also eventuell Italiens Besıtzstand
verteidigen zu wollen.‘“ So fand der kontinentale Dreibund faktısch eine Ergänzung zur See durch
England. Das war ganz im Sinne Bismarcks, der damals gerade ein gutes Verhältnis mıt England
anstrebte: bei dem damals vorhandenen italienisch-französischen Gegensatze musste ein Zusam-
mengehen Englands mit Italien eine gewisse Spannung zwischen Frankreich und England bewirken,
dıe durch kolonialpolitische Differenzen ın Afrıka noch verstärkt wurde.
III. Dreibund und Rückversicherungsvertrag. Französisch-Russischer Zweibund. |
Die Konstellation der grossen Mächte, wie sie soeben geschildert wurde, hat sıch mehrere
Jahre hindurch erhalten: Deutschland, Österreich, Italien auf dem Festlande geschlossen zu-
einanderhaltend, zur See sekundiert durch England; im Gegensatze zu ıhnen Russland und Frank-
reich, beide freilich getrennt marschierend. Wenn sich die beiden zuletzt genannten Mächte nicht
nach dem Vorbilde des Dreibundes förmlich aneinander schlossen, so lag das an der Antipathie des
absolutistisch gesinnten Zaren gegen die radikale Republik, deren häufige Ministerwechsel ıhm
zudem Misstrauen einflössten. Auch gab sich Bismarck Mühe, Russland davon zu überzeugen, dass
die deutsche Politik frei von allen aggressiven Tendenzen sei. Er begünstigte die Politik Russlands
in Asien gegen England und strebte selbst eine Wiederherstellung des ‚Dreikaiserbündnisses‘
an; den Höhepunkt dieser Tendenzen bezeichnen der deutsch-russisch-österreichische Vertrag
vom März 1884, durch den sich die drei Mächte auf drei Jahre bei Angriffen von anderer Seite