Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
Hans VUebersberger, Balkanstaaten und Balkanbund. 
347 
  
EEE SEES EHE NEEREEEEEEN> Zn > — > 
  
  
Lage gelegentlich geraten worden ıst, dıe vom alten Regime, nicht etwa von den Kurden selbst 
geraubten Ländereien einfach den augenblicklichen Besitzern wegnehmen und den früheren arme- 
nischen Eigentümern zurückgeben wollte. Eine Rückgabe der Ländereien ist nur bei angemessener 
Entschädigung der jetzigen kurdischen Besitzer möglich. Wenn es der Regierung gelingt, die er- 
forderlichen Geldmittel zur Lösung der Länderfrage flüssig zu machen, wird die Herstellung von 
Ruhe und Ordnung in den Ostprovinzen rasch erfolgen können. Man hat festgestellt, dass 90 
Prozent aller Mordtaten in den armenisch-kurdischen Provinzen auf die Zwistigkeiten wegen der 
Ländereien zurückzuführen sind. Übrigens leiden, wie Mahmud Schewket Pascha am 12. Mai 1913 
nach der Überreichung eines Memorandums des armenischen Patriarchats über ‚die unbeschreib- 
liche Verzweiflung der Armenier‘“ öffentlich erklärte, unter der in Östanatolien herrschenden 
Anarchie Armenier und Kurden in gleicher Weise. In Europa hört man infolge der von Paris aus 
betriebenen geschickten Propaganda fast nur von den ‚„Ärmeniermorden“ sprechen. Man darf aber 
nicht übersehen, dass auch mancher Kurde als Opfer armenischer Mörder fällt. Davon pflegt in 
Europa kein Aufheben gemacht zu werden. Nicht einmal die Ermordung des Kurdenchefs Musa Be; 
in Gardschikan hat gebührende Beachtung gefunden. Während des Krieges haben die armenischen 
Soldaten sich, wie Mahmud Schewket Pascha in der erwähnten Erklärung hervorhob, recht gut 
geschlagen. Aber die Zahl der zum Feinde übergegangenen Armenier war bedauerlich gross, und in 
den von bulgarıschen Truppen besetzten Teilen Thraziens, besonders in Adrianopel und Rodosto, 
haben viele Armenier in hochverräterischer Weise mit den Feinden der Türkei paktiert. 
In wirtschaftlicher Hinsicht hat die Türkeı den Krieg über Erwarten gut überstanden. 
Trotz der ausserordentlichen Anspannung der wirtschaftlichen und finanziellen Kräfte des Landes 
ist die vielfach gefürchtete Katastrophe nicht eingetreten. Natürlich ist die Finanznot, die sich 
bereits während des Tripoliskrieges fühlbar machte, durch den Balkankrieg stark gestiegen. Aber 
die erstaunliche Zähiekeit, mit der dıe Türkei sıe ertragen hat, muss entschieden als günstiges Zu- 
kunftszeichen gelten. Auch sonst fehlt es nıcht an Beweisen für eine im Kern ungebrochene Lebens- 
kraft. Nach der vorübergehenden tiefen Niedergeschlagenheit an der Wende von 1912 und 1913 
regt sich, besonders seit der Rückkehr der Jungtürken zur Regierung, überall im osmanischen Volk 
ein neuer frischer Geist. Wie wenig Stambul ‚‚tot‘ ist, beweist die energisch betriebene Modernıi- 
sierung der türkıschen Hauptstadt, deren hervorragender Präfekt, Dr. Dschemil Pascha, nebenbei 
bemerkt ein vorzüglicher Arzt und Chirurg, ın kurzer Frist mit geringen Mitteln Bcedeutendes 
geleistet hat. Er hat damit im Kleinen bewiesen, wozu die Türken bei entsprechender rationeller 
Leitung fähig sind. Die erfreulichen Anfänge des neuen jungtürkischen Regimes berechtigen zu 
der Hoffnung, dass es imstande sein wırd, dıe schlummernden Kräfte zur Neubelebung des Reichs- 
körpers zu wecken. 
  
  
107. Abschnitt. 
Balkanstaaten und Balkanbund. 
Von 
Dr, Mans Uebersberger, 
a. 6. Professor für Geschichte Osteuropas an der Universität Wıen. 
Literatur: 
Alı Haydar Midhat Bey, The Life of Midhat Pascha, London 1903. E. F. Knight, The awakenıng of 
Turkey, London 1909. Paul Dehn, Die Völker Südosteuropas und ihre politischen Probleme, Halle 1909. 
Dr. J. K. Jirecek, Die Balkanvölker und ihre kulturellen und politischen Bestrebungen, Urania Il. Jahrgg. 13 u. 15.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.