Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

Hans ÜUebersberger. Balkanstaaten und Balkanbund. 
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nun zwar ein Teil des verloren Gegangenen wieder erworben, aber es blieb noch ein grosser Teil 
in den drei mazedonischen Vilajets ausserhalb des bulgarischen Staatsgebietes. Die Bevölkerung 
dieser drei mazedonischen Vilajets wird von den Bulgaren als ethnographisch überwiegend ihnen 
gehörig bezeichnet, von Griechen, Serben und Kutzowalachen aber bestritten. Wie schon treffend 
hervorgehoben wurde (Jırecek, Fürstentum Bulgarien 8.478), wird das Schicksal dieser Gebiete kaum 
durch philologischeDissertationen und Sprachenkarten entschieden werden, sondern durch dieSchärfe 
des Schwertes. Diese mazedonische Frage beherrschte nun seit Jahrzehnten die öffentliche Meinung 
in Bulgarien und zeitweilig vollständig auch dessen Politik. Mit der dem bulgarischen Volke inne- 
wohnenden Tüchtigkeit und Zähiskeit wurden ebenso lang alle Vorbereitungen getroffen, diese 
Frage im bulgarischen Sinne zu lösen. Aufstände und deren Unterdrückung standen seit dem Be- 
einn der 90er Jahre in Mazedonien auf der Tagesordnung. Nur blieb der Kampf nicht auf Bulgarien 
und Türkei allein beschränkt, sondern da auch Griechen, Serben und Rumänen Stammesgenossen 
in Mazedonien besitzen, sahen diese ıhre Stellung gleichfalls durch die etwas gewalttätige bul- 
garısche Propaganda bedroht. Es begann nun unter den Banden der einzelnen Nationen ein 
wütender Vernichtungskampf. Durch Mord und Brand wurde heute ein Dorf gezwungen, zum ‚,„Pa- 
triarchat‘“ (Griechen) zu schwören, um morgen wieder auf ebenso gewaltsame Weise zum „Exarchat‘“ 
(Bulgarien) bekehrt zu werden. Aus Bulgaren wurden Serben, aus Serben Bulgaren. Für die Pforte 
bedeutete nun dieser gegenseitige Vernichtungskrieg eine gewisse Erleichterung. Aber Europa 
wollte dieser Metzeleı nıcht mehr länger zusehen und sah die Notwendigkeit, sich einzumischen. 
Es kam die Zeit der mazedonischen Reformen, eine Frucht der Mürzsteger Vereinbarungen zwischen 
Österreich-Ungarn und Russland. Diese beiden Mächte übernahmen mit Zustimmung der anderen 
Grossmächte in dieser Frage die Führung. Aber die Bulgaren ım Fürstentum und natürlich vor 
allem in Mazedonien waren mit dieser Wendung nicht zufrieden. Sowohl das Ausmass der Re- 
formen als deren Durchführung erregte ihre Unzufriedenheit. Das Entscheidende war, dass England 
sich von seiner früheren Politik, die auf Erhaltung der Machtstellung des osmanischen Reiches 
gerichtet war, lossagte und sich die Vertretung des bulgarischen Standpunktes vollständig 
zu eigen machte. England verlangte jetzt entschiedenere Reformen und schreckte selbst vor der 
Antastung der souveränen Rechte des Sultans nicht zurück. Der von England verlangte christ- 
liche Gouverneur für Mazedonien hätte mit seinen europäischen Exekutivorganen eigentlich nichts 
anderes als die vollständige Autonomie Mazedoniens bedeutet, das damit nur mehr formell im Ver- 
bande des osmanischen Reiches blieb, da dieser christliche Gouverneur durch seine Unabsetzbar- 
keit doch der Machtsphäre des Sultan vollkommen entrückt gewesen wäre. Der anglophile russische 
Politiker und Publizist Miljukov sagt von der englischen Politik daher auch mit Recht, dass sie 
in jenem Zeitpunkte auf eine Liquidation der Türkei in Europa gerichtet war und Bulgarien nur 
den vorgeschobenen Posten in Englands Hand bedeutete, der den Kampf beginnen sollte. (Mil- 
jukov, Balkankrise). Die Lage der Pforte wurde dadurch noch kritischer, dass Russland nach den 
Misserfolgen in Ostasien sich wieder einer aktiveren Orientpolitik zuwandte, deren Hauptziel seit 
mehr als zwei Jahrhunderten auf die Öffnung der Dardanellen, deren Nebenziel auf die Befreiung der 
stamm- und glaubensverwandten Balkanvölker und deren Einordnung ın seine Einfluss-Sphäre 
gerichtet ist. Im Herbste 1907 hatten Russland und England ein Abkommen über die Teilung der 
Interessensphären in Mittelasien abgeschlossen und damit war der Weg für ein Zusammengehen 
beider Mächte auch in der orientalischen Frage gebahnt und das um so mehr, als ja England, wıe 
betont, die alte Türkenfreundlichkeit zugunsten einer Türkenfeindlichkeit geändert hatte. Dieser 
Zusammenschluss vollzog sich im Mai 1908 gelegentlich der Zusammenkunft des Zaren mit König 
Eduard VII. 
Die ernste Gefahr aber, die nun die Existenz des osmanischen Reiches zu bedrohen schien, 
fand eine vollständig unerwartete Abwehr. Die jungtürkische Bewegung, dıe schon lange einen 
Umsturz der bestehenden Verhältnisse plante, erfasste, geleitet vom Komitee für Einheit und Fort- 
schritt, den Ernst der Lage und war auch entschlossen, ihm energisch vorzubeugen. Die für eınen 
späteren Zeitpunkt geplante Erhebung wurde durch die Revaler Zusammenkunft beschleunigt 
und zwei tapfere Offiziere Enver-Bey und Niazi-Bey stellten sich an die Spitze derselben. Am 
10. Juli 1908 wurde die Konstitution Midhat Paschas aus dem Jahre 1876 wiederhergestellt und 
 
	        
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