Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
j Hans Uebersberger, Balkanstaaten und Balkanbund. 
SERIE u —m 
En nn 
RER nn, u . SS 
jungen bulgarischen Staate wie ein Bleigewicht lastete, zu nützen und sich dabei der Hilfe Serbiens 
zu sichern, dessen frühere Ansprüche auf mazedonischen Boden nun vertragsmässig beseitigt waren. 
Griechenland hatte sich schon seit dem Herbste 1911 angesichts der Kriegsdrohungen der Jung- 
türken wegen der neuerlichen Verschärrung der kretensischen Frage Bulgarien genähert. So hat 
dann Bulgarien mit ihm am 29. Maı 1912 gleichfalls einen Bündnisvertrag unterzeichnet, der aber 
ausser Zusicherung gemeinsamer Hilfe gegen die Pforte jeglicher Bestimmung über die Aufteilung 
zukünftiger Eroberungen entbehrte. Endlich hat dann Bulgarien auch mit Montenegro einen 
Bündnis- und Subsidienvertrag geschlossen. 
Die durch das Chaos im Innern geschwächte Pforte beeilte sich zwar noch, sıch durch den 
Frieden von Lausanne mit Italien günstigere Kampfbedingungen zu schaffen, alleın ihre Armeen 
mangelhaft ausgerüstet und schlecht getührt, erlagen dem kriegerischen Ungestüm der Bulgaren 
bei Kirkkilisse und Lüle-Burgas, beı Kumanowo den Serben. Erst vor Tschataldscha erlahmte die 
bulgarische Stosskraft, so wie Adrianopel der tapfere Schükrı-Pascha hartnäckig verteidigte. Die 
erschreckte Pforte suchte den Frieden und ın London, wo sıch auch die Botschafter der Gross- 
mächte zu einer Konferenz versammelt hatten, um den Ausbruch eines alleemeinen europäischen 
Krieges infolge der Balkanwirren zu verhindern, sollte der Frieden verhandelt werden. Noch vor 
diesen Friedensverhandlungen war ein entscheidendes Ereignis eingetreten, die Botschafter- 
konferenz hatte dem Antrage Österreich-Ungarns und Italiens, aus den Trümmern der europäischen 
Türkei eın selbständiges Albanıen zu schaffen, zugestimmt. Damit im engsten Zusammenhang 
stand die Annahme der österreichischen Forderung, dass Serbien keinen Territorialbesitz und 
keinen Kriegshafen an der adriatischen Küste erwerben dürfe. Dadurch wurden die serbischen 
Aspirationen in die Richtung des geringeren Widerstandes nach Mazedonien, wo es sich vertrags- 
mässig als desinteressiert erklärt hatte, gedrängt. Schon während der ersten Londoner Friedens- 
verhandlungen gab es deshalb wegen der Aufteilung der Eroberungen zwischen den Verbündeten 
Misshelligkeiten. Als dann, nicht wegen der Unnachgiebiskeit der Piorte allein, sondern auch wegen 
der mangelnden Übereinstimmung der Verbündeten sich nach dem Sturze Kiamil Paschas, der 
neuerdings die Jungtürken zur Macht gelangen liess, dıe Friedensverhandlungen in London zer- 
schlugen, brach Anfang Februar 1913 der Kampf zwischen der Pforte und den Verbündeten von 
neuem aus. Der zweite Krieg zeitigte aber mit Ausnahme des Falles von Adrianopel und 
Janina keine wesentlich neuen Resultate. Neuerliche Verhandlungen ım Mai 1913 führten dann 
zum Londoner Frieden, der der Pforte von ıhrem einstigen europäischen Besitze nur den schmalen 
Streifen von Konstantinopel bis zur Linie Enos—Midia liess. 
Nun konnten sich aber die Verbündeten über die Aufteilung der Beute nicht einigen, da 
Serbien nun offen erklärte, dass es sich an seine vertragsmässig eingegangenen Verpflichtungen nıcht 
mehr gebunden erachte. Es fand ın diesem Streben Unterstützung bei Griechenland, dass Salonıkı 
und beträchtliche Teile Südmazedoniens sıch anzueignen bestrebt war. Serbien und Griechenland 
fanden nun einen Bundesgenossen an Rumänien, dessen ursprünglich bescheidene Forderungen ın 
unglaublicher Verblendung von den Regierungen Geschow und Danew im Vertrauen auf Russland 
rundweg abgelehnt worden waren. Als es nun zum Kampfe kam, war Bulgarıen trotz dr Tapier- 
keit seiner Armee nicht imstande, seinen vereinigten Feinden Widerstand zu leisten. Es musste 
am 10. Aug. 1913 in Bukarest einen Frieden schliessen, der fast wie ein Hohn auf seine grossen Blut- 
opfer und die Leistungen der bulgarischen Armee im Kampfe gegen die Türken klingt. Mazedonien, 
für dessen kulturelle Hebung es dezennienlang grosse materielle Opfer und zu dessen Befreiung es 
ungeheure Blutopfer gebracht hatte, wurde bis auf ein kleines Stück ın der Rhodope Serbien und 
Griechenland zugewiesen, an Rumänien verlor es eines der fruchtbarsten Gebiete seines Landes an 
der Donau von Turtukaj bis Baltschick. Thrazien, das ihm auch dem Bukarester Frieden zufolge 
bleiben sollte, verlor es zur selben Zeit an die Türken, die sich die Gelegenheit zunutze machten und 
Adrianopel und die Maritzalinie wieder besetzten, während Bulgarıen auf Verlangen seiner früheren 
Verbündeten demobilisieren musste und daher keinen Widerstand leisten konnte. 
So hat also jener Krieg der Verbündeten gegen die Pforte, der am Beginne mit frevelhaiter 
Überhebung als heiliger Krieg verkündet worden war, wie ein Raubkrieg, ernüchternd selbst auf 
die begeistertsten Freunde der Balkanvölker, geendet. Er hat Verhältnisse geschaffen, die einen 
  
  
  
  
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.