Otto Hoetzsch, Die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten von Amerika. 353
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dauernden Frieden noch weniger verbürgen, als die alten Zustände. Die bulgarische Bevölkerung
Mazedoniens, die nun durch ıhre Einverleibung in Serbien und Griechenland viel gewaltsamerer
Entnationalisierung und Unterdrückungausgesetztist, als unter türkischer Herrschaft, wird ebenso-
wenig den Widerstand aufgeben, wie Bulgarien jemals vergessen kann, dass seine Verbündeten
ıhm den blutig erkämpften Sıegespreis geraubt haben. Serbien aber und Griechenland haben in
diesen neuerworbenen Gebieten und ıhrer Verteidigung Aufgaben zu leisten, die ihre Kräfte weit
überschreiten. Nur die so oft todtgesagte Pforte hat befreit von dem Ballaste unruhiger und kost-
spieliger Provinzen die Aussicht, neue Kraft und Lebensenergie zu gewinnen. Ist doch auch ihre
strategische Lage durch dıe Todieindschaft der früheren Verbündeten ausserordentlich günstig
geworden.
108. Abschnitt.
Die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten von
Amerika und ihre Ziele.
Von
Dr. Otto Tloetzsch,
a. 0. Professor der osteuropäischen Geschichte und Landeskunde an der Universität Berlin.
I. Geschichte.
Der Versuch, die politischen Ziele der Vereinigten Staaten und ıhre Entwicklung zu skizzieren,
kann sich bei dem zur Verfügung stehenden geringen Raume nur ın ganz grossen Linien bewegen.
Es ıst das Nordamerika, wıe es seit 1893 vor uns steht, mit dem sıch diese Ausführungen befassen
wollen. Damals und noch mehr 5 Jahre später, als die alte Kolonıalmacht Spanien ım Kriege gegen
die Union zusammenbrach, sah Europa zu seinem Staunen, dass die ‚„Flegeljahre Onkel Sams“,
von denen man so gern mit Lächeln sprach, endgültig vorüber waren, dass dıe Vereinigten Staaten
mündig geworden waren und die Ansprüche, die ein mündiges Mitglied der Weltstaatengesellschaft
machen kann, mit allem Nachdruck und mit grosser Unbefangenheit geltend machten. Schon
1893 hatte bei der Eröffnung der Ausstellung von Chicago Präsident Cleveland diese Mündigkeits-
erklärung feierlich mit den Worten ausgesprochen: ‚„Umgeben von den staunenswerten Ergebnissen
amerikanischen Unternehmungsgeistes und Fleisses und angesichts der grossartigen Zeugnisse
amerikanischer Geschicklichkeit und Intelligenz, brauchen wir nicht mehr zu fürchten, dass unsere
Beglückwünschung übertrieben ıst. Wir stehen heute inmitten der ältesten Nationen der Welt
und weisen hin auf die grossen Werke, die wir hier ausstellen, ohne mehr Nachsicht zu erbitten
auf Grund unserer Jugend.“
Die Aufgaben, dıe den Knaben- und Jünglingsjahren der Union gestellt wurden, waren er-
füllt. Sie hatte das ihr vom Schicksal zugewiesene Gebiet zwischen beiden Meeren, dem Rıo Grande
und der kanadischen Grenze vollkommen erschlossen und mit Menschensiedelungen erfüllt. Freilich
nur mit stärkster fremder, namentlich deutscher und skandinavischer Hilfe und Einwanderung
waren die gewaltigen Flächen des mittleren und dann des fernen Westens unter den Pilug genommen
worden und hier ein Getreideanbau ents’anden, dessen Produktion ın den 70er Jahren für die
europäische Landwirtschaft verderblich konkurrenzfähig geworden war. Daneben waren die ge-
Handbuch der Politik. II. Auflage. Band III. 23