360 Otto Hoetzsch, Die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten von Amerika.
Stellung in Weltpolitik und -Wirtschaft sich errungen hat, und die Elemente, aus dener sich heute
die für die Vereinigten Staaten unbedingt notwendige Einwanderung zusammensetzt, sind in zu-
nehmendem Masse anderen Blutes, romanischer, slavischer, semitischer Abstammung. In Ver-
bindung damit gewinnt die Tatsache, dass Millionen von Negern noch im Staatskörper vorhanden
sind, eine besondere Bedeutung. Wird auch dieses Problem, so wichtig es für die allgemeine Zukunft
der Vereinigten Staaten ist, ihre auswärtige Politik in absehbarer Zeit nicht wesentlich berühren,
so liegen genug Konfliktsmöglichkeiten für sie auch darın und sind schon hervorgetreten. Damit
hängt schon die Frage zusammen, die bei der Betrachtung dieser auswärtigen Politik zuletzt erhoben
werden muss, die Frage nach ihrem inneren Wert und damit nach ıhrem Recht. In dem Optimismus
und Vertrauen auf die Zukunft, die den Amerikanern heute eigen sind, wird diese Frage kaum auf-
geworfen und wenn je, dann selbstverständlich bejaht. Aber es ist doch kein Zweifel, dass dem ge-
waltigen Streben nach aussen, wie es uns ım heutigen amerikanischen Imperialismus seit Mitte
der 90 er Jahre entgegentritt, ein innerer Inhalt nur zum Teil entspricht, dass mit anderen Worten
eine eigene amerikanische Kultur, für die das imperialistische Programm von heute Bahnen und
Sicherheit des Lebens schaffen soll, erst im Werden ıst, und dieses Werden wird selbstverständlich
aufgehalten oder gar entscheidend bedroht, wenn die bisher zweifellos germanischen Ansätze dazu
durch andersrassige Elemente ım Volkskörper gekreuzt und verändert werden. Eine amerikanische
Kultur, die wirklich etwas für die Menschhei leistet und die damit die grandiosen Herrschafts-
ansprüche der amerikanischen Politik erst rechtfertigt, kann aber nur dann und da zum vo len
Erblühen kommen, wo — nach einem im mittleren Westen der Union heute gern gebrauchten Aus-
drucke — „the teutonic principles prevail‘“.
VL. Amerika und Europa.
Inwieweit wird durch die auswärtige Politik der Vereinigten Staaten von heute ıhre Stellung
zu Europa und seinen einzelnen Staaten beeinflusst ?
Ohne weiteres ıst klar, dass die grossenteils auf gegenseitiger Unkenntnis beruhende
Gleichgültigkeit gegeneinander längst aufgehört hat. Bis ın die 70 er Jahre hinein konnte das euro-
päische Staatenkonzert den Vereinigten Staaten verhältnismässig gleichgültig gegenüberstehen.
Abgesehen davon, dass gelegentlich kolonıale Fragen auf am°rıkanisch‘ m Gebiete Reibungen mit
Frankreich oder England hervorriefien, oder dass der grosse Entscheidungskrieg zwischen Norden
und Süden der Vereinigten Staaten Europa wirtschaftlich und geistig recht stark berührte, ging man
nebeneinander her; auch die grossen Massen europäischer, namentlich deutscher Einwanderung,
haben das Band nicht enger gezogen. In den 70er Jahren begann dann die Bedeutung der Ver-
einigten Staaten wırtschaitlich immer grösser zu werden, begannen Konkurrenz und handelspoli-
tische Differenzen. Auch nahm die Union an manchen Fragen der grossen Politik, z. B. an der
Kongo-Konferenz, bereits einen Anteil, den sıe bisher nicht beansprucht hatte. Aber erst seit den
90er Jahren ıst dıese Berührung Nordamerikas mit Europa so eng geworden, dass sie ernsthaft
betrachtet werden musste. Auch wenn man den Ruf Steads:,, die Amerikanisierung der Welt‘ als
reichlich übertrieben empfand, so spürte Europa doch überall das Eindringen der amerikanischen
wirtschaftlichen Kraft. Die Fragen der handelspolitischen Beziehungen gewannen eine ganz andere
Bedeutung als vorher, weniger ım Verhältnis der Union zu England oder zu Frankreich, als ganz
besonders zu Deutschland, das die gewaltige Wirtschaftskrafit der Union gleichfalls erheblich spürte,
andererseits aber für sein enorm aufblühendes Wirtschaftsleben auch Ellbogenfreiheit wünschte.
Da es von 1890 an (Saratogaconvention) über die verschiedenen amerikanischen Tarife hin nicht
recht gelang, ın ein erträgliches handelspolitisches Verhältnis zu kommen und namentlich die um-
strittene Frage der Meistbegünstigung klar zu regeln, gerieten die beiden Staaten in eine Spannung,
die in den offenen Krieg auszugehen schien. Das hätte die amerikanische Politik um die Wende des
Jahrhunderts ın einen dauernden Gegensatz zum Deutschen Reiche geführt und enge Beziehungen
mit England geschaffen, die naturgemäss von diesem lebhaft gewünscht und gefördert wurden
und durch die spätere französısch-englische Entente von 1905 eine wesentliche Steigerung erfahren
hätten. Damit hätte sich dann auch die Stellung der Union im fernen Osten an der Seite Japans
und gegen China und evt. auch Russland ergeben. Sowohl dem Geschick der deutschen, wıe der