Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
364 Albrecht Wirth, Das Erwachen der asiatischen Völker. 
  
I. 
deutschen Kaiser hatte. Das Schlagwort von der gelben Gefahr kam auf und der Kaiser liess nach 
seinen Angaben jenes Bild von dem auf Wolken ansegelnden Buddha durch Professor Knackfuss 
herstellen, das die berühmte Unterschrift trägt: Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter! Der 
Ruhm Chinas war nun von Grund aus erschüttert. Das Wort eines russischen Obersten, er getraue 
sich mit 10 000 Mann ganz China zu erobern, erschien nun nıcht mehr als eitle Prahlerei. Gleichwohl 
war die beständige Einbusse der Bezopften an Ansehen, war das unaufhörliche Vordringen der Frem- 
den nicht ohne Eirdruck auf die Seele des chinesischen Volkes geblieben. Alles Unheil, das dem 
Land der Mitte wiederfuhr, schrieb man den Fremden zu. So entstand die Bewegung von den 
Männern der geballten Faust, der Boxerkrieg. Der deutsche Gesandte, Baron Ketteler, wurde im 
Juli 1900 ın den Strassen von Peking ermordet und das chinesische Volk, von der Regierung halb 
begünstigt, schritt zur Belagerung der Gesandtschaften. England, Nordamerika, Frankreich, 
Deutschland, Österreich, Italien schickten Truppen nach Petschili; das Merkwürdigste aber war, 
dass auch die Japaner sıch dem grossen Kreuzzuge gegen China anschlossen. Gerade sie waren die 
ersten, die in die Mauern Pekings eindrangen. 
Die vorletzte Etappe der ostasiatischen Entwicklung wird durch den Marsch der Engländer 
nach Lassa (1904) und den japanısch-russischen Krieg dargestellt, die letzte durch den Bürgerkrieg, 
der am 9. Oktober 1911 ın Hankau ausbrach und der bis Oktober 1913 andauerte. 
Die gelbe Gefahr, deren Gegenstück in den Augen der Ostasiaten die weisse Gefahr ist, hat 
eine religiös-kulturliche, eine wirtschaftliche, eine rassenpolitische und eine militärische Seite. 
Die Welt des Buddha und Konfuzius nımmt christliche Gedanken an. Schon die Revolution der 
Taipıng und der letzte Ausbruch von Hankau war direkt durch Schüler christlicher Missionäre 
ins Werk gesetzt. Auf den amerikanischen Colleges und den Hochschulen Englands und Deutsch- 
lands befreunden sıch die Jungcehinesen und die Japaner mit Ideen des Abendlandes. Andererseits 
aber haben die buddhistischen Anschauungen bei uns viel Eingang gefunden. Bereits Schopenhauer 
ıst von ıhnen berührt und in der Gegenwart ist eine förmliche Invasion buddhistischer Vorstellungen 
bei uns zu beobachten, wıe es denn auch, namentlich in den Kreisen der Theosophen schon Zehn- 
tausende von Europäern und Amerikanern gıbt, besonders ın München, Parıs, Chikago und Kalı- 
fornien, die sich ganz oder halb zum Buddhismus bekehrt haben. Eine kaum minder grosse, wenn 
auch nıcht so gefährlich auftretende Einwirkung hat dıe Kunst Ostasiens auf uns ausgeübt. Am 
meisten wırd das wirtschaftliche Problem erörtert. Hier stehen sich zwei Ansichten schroff gegen- 
über. Die einen Beurteiler meinen, dass uns ım Westen eine furchtbaıe Konkurrenz von seiten 
der genügsamen Ostasiaten drohe. Wie in Indten, so könne sich auch in Ostasien eine Kulıifamilıe 
mit 5—6 M. einen Monat lang ernähren. Die Ostasiaten hätten ein bemerkenswertes Geschick 
in allen technischen Dingen und hätten ein klares Verständnis für die Vorteile unserer Industrie. 
Der Chinese vor allem sei der beste Kaufmann der Welt, der Tag und Nacht auf nıchts arderes 
als auf Gelderwerb sinne. Im übrigen könne man es ja ın Kalifornien und Australien sehen, wıe 
rasch der Weisse vor dem Mitbewerb der Gelben zurückweiche und wie ein Übergewicht der Gelben 
nur durch schärfste Ausübungsmassregeln verhütet werde (die erste Bill, die in Amerıka die Eın- 
wanderung von Chinesen beengte, wurde 1880 Gesetz). Die entgegengesetzte Theorie, unter deren 
Wortführern Vosberg-Rekow und Alexander Tille zu nennen sind, macht geltend, dass dıe Löhne 
ın dem letzten Menschenalter und namentlich seit den letzten zwei japanischen Kriegen um eın 
vielfaches gestiegen seien. Je mehr sich ferner die ostasiatische Industrie vergrössere, um so be- 
deutender müsse die Einfuhr europäischer Maschinen werden, um so leistungs- und infolgedessen 
aufnahmefähiger, also auch für den europäisch-amerikanischen Markt geeigneter würde die ost- 
asiatische Bevölkerung werden. In der Tat ist ja der Handel des Westens mit den ostasiatischen 
Ländern ungemein gewachsen; in Japan hat er sich seit 1868 verzwölffacht und seit 1895 verfünf- 
facht(jetzt über zwei Milliarden Maık); der Aussenhandel Chinas ist zwar erheblich langsamer, aber 
stetig in die Höhe gegangen. Für Japan sei zu rügen, dass die dortigen Kaufleute unzuverlässig 
und verschwenderisch seien, dass die Aktiengesellschaften Dividendenraubbau trieben, dass Grün- 
dungsfieber und Bankerotte herrschten. Ausserdem leiste ein tüchtiger weisser Arbeiter das 4- 
und 5 fache des gelben Arbeiters. Rassenpolitisch kommt ın erster Linie die Grösse und dıe Zunahme 
der Bevölkerung in Betracht, in zweiter die Eignung der einzelnen Rassen für die Betriebe der 
  
  
 
	        
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