110. Abschnitt.
Japans wirtschaftliche und soziale Probleme und seine
Kıxpansionsbestrebungen.
Von
Dr. iur. et. rer. pol. Robert Schachner, T Jena.
Neu bearbeitet von Dr, Ludwig Riess, Berlin.
Literatur:
Karl Rathgen, Japans Volkswirtschaft und Staatshaushalt 1891. — Karl Rathgen, Die Japaner
in der Weltwirtschaft. Band 72 von „Aus Natur und Geisteswelt“. 1911. — B. H. Chamberlain, Things
Japanese 1902. — Fritz Wertheimer, Die japanische Kolonialpolitik 1910. — Robert Schachner,
Arbeiter, Unternehmer und Staat in Japan im Archiv für Sozialwissenschaft. Band 24. — Finanzielles und wirt-
schaftliches Jahrbuch für Japan. 1912. E. A. Heber, Japanische Industriearbeit (Bd. VII der „Probleme der
Weltwirtschaft“) Jena 1912. Karl Haushofer, Dai Nihon, Betrachtungen über Grossjapans Wehrkraft,
Weltstelluong und Zukunft. Berlin 1913. ©. Scholz und Dr. K. Vogt, Handbuch für den Verkehr mit
Japan. Berlin 1913. H. Nishi, Die Baumwollspirnerei in Japan. (Ergänzungsheft 40 der „Zeitschrift für
die gesamte Staatswissenschaft‘‘) 1911. L. Riess, Die Wirkung des russisch-japanischen Krieges auf die ost-
asiatischen Seeinteressen. (Deutsche Monatsschrift, April und Mai 1907.)
Als Ostasien im Zeitalter des Dampfes und Eisens aus seinem Winterschlaf geweckt und auch
Japan im Jahre 1854 dem Weltverkehr eröffnet wurde, betrug seine Bevölkerung etwa 27 Millionen ;
sie ıst seitdem, mit Ausschluss des inzwischen dazuerworbenen Gebietes auf über 52 Millionen an-
gewachsen, hat sich also fast verdoppelt. An die Stelle von 271 Lehnstaaten verschiedener Grösse
ist seit Wiederherstellung der Kaisermacht im Jahre 1868 ein straff zentralisierter bureaukratischer
Staatsmechanismus getreten, der nach dem Vorbild des französischen Präfektensystems von der
Hauptstadt Tokio, dem früheren Jeddo, aus regiert wırd. Die mehr als 400 000Familıen des Schwert-
adels verloren 1876 ihre erblichen Renten und gesellschaftlichen Privilegien, nachdem den Bauern
dıe Gebundenheit an die Scholle und den Parias (Eta) ihre Abschliessung von der übrigen Bevölke-
rung durch kaiserliche Willenserklärung bereits behoben worden war. Von den Vertragshäfen
aus gelangten die für den Massenbedarf berechneten Fabrikerzeugnisse der modernen Industrie
allmählich in den innersten Winkel der japanischen Berge, während zugleich für die altberühmten
Erzeugnisse des Landes, für Seide und Tee, für Kupfer und Gold, für Papier und Bambus, tür Lack-
waren und Seidenstoffe, für keramische Erzeugnisse und Kuriositäten ein reger Begehr eingesetzt
hatte. Die neue Regierung war nach ihrem Siege ohne Barmittel und suchte ihrem Papiergelde
durch ein System von Nationalbanken Aufnahme beim Publikum zu sichern. Zugleich brachten
aber die beschleunigten Versuche, dem geeinigten Staate ein Heer mit moderner Bewaffnung und
eine brauchbare Flotte zu verschaffen, Eisenbahnen und Telegraphen zu bauen, das Schulwesen
zu verbessern und einve gleichmässige Organisation der Polizei über das ganze Land auszudehnen,
die Notwendigkeit mit sich, zur Bestreitung der Unkosten die Steuerkraft der Bevölkerung zugleich
anzuspannen und zu heben. Durch Anregungen von oben her, durch Staatsunterstützungen und
durch Anstellung fremder Ratgeber und Lehrer sollte nach dem Wunsche der energischen und
optimistischen Regierung Japan sehr schnell den Vorsprung technischer und wırtschaftlicher Ent-
wicklung einholen, den die europäischen Kulturmächte vor ihm voraus hatten. Bei der,Unbekannt-
schaft der*Bevölkerung” mit den fremden Einrichtungen, denen!man im Inselreiche einen gedeih-
lichen Boden verschaffen wollte, mussten sich die Behörden nach Anleitung der Zentralregierung