Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

    
374 Schachner - Riess, Japans wirtschaftliche und soziale Probleme. 
  
um alles Einzelne kümmern; die staatliche Fürsorge und Bevormundung wurde das Kennzeichen 
des jetzt im Verhältnis zu dem schon früher geöffneten China schnell fortschreitenden Landes. 
Die Periode der ‚Aufklärung‘‘ musste unter den gegebenen Verhältnissen durch polizeiliche Bevor- 
mundung die Assimilisatıion Japans an die Zustände westlicher Länder möglichst zu beschleunigen 
suchen. 
Ehe die Regierung ın 20jähriger, an fehlgeschlagenen Experimenten reicher Tätigkeit das 
Volk an die Bedürfnisse, Betätigungen und Willensregungen des Maschinenzeitalters und der 
Grewerbefreiheit in freier Konkurrenz mit dem Auslande gewöhnt hatte, war noch eine politische und 
eine finanztechnische Aufgabe zu lösen. Den Widerstand des um seine Vorrechte gebrachten 
Schwertadels warf die Regierung durch Unterdrückung einer Reihe von Aufständen nieder, von 
denen der letzte, der Satsumaaufstand von 1877, der gefährlichste war. Der Papiergeldwirtschait, 
die durch abenteuerliche Massnahmen der Regierung einen schlimmen Stand erreicht hatte, machte 
der Finanzminister Matsukata ein Ende, indem er mit grossen Opfern und nach vıerjähriger Vor- 
bereitung die Staatsbank (Nippon Ginko) in den Stand setzte, ihre Noten von 1885 an mit Silber 
al parı einzulösen. Seit 1886 wird ın Japan das Papiergeld ohne Disagio und sogar lieber als das 
Metallgeld genommen, obwohl noch 1881 für 100 Yen in Silber 170%, Papieryen zu bekommen 
waren. Für das Gros der japanıschen Bevölkerung bedeutete die schnelle Sanierung der Währung 
nach einer Periode leichtsinniger Papiergeldausgabe eine Verschlechterung ihrer Lage, da die 
Bauern den gleichen auf Yen festgesetzten Steuerbetrag entrichten mussten, als der Marktpreis 
ihrer Erzeugnisse nominell gefallen war, und da die Durchschnittslöhne für Männer und Frauen 
stärker sanken als die Lebensmittelpreise. Aber jetzt begann sich auch die Privatindustrie zu ent- 
wickeln, der die grosse vom Lande abwandernde und den Städten zuströmende Menschenzahl sehr 
zu statten kam. Somit beginnt seit 1887 für Japan die Industrialisierung, der umfangreichere 
Eisenbahnbau und die stärkere Betätigung ım Schiffsverkehr. In den Häfen Östasiens begann die 
japanische Kohle eine Rolle zu spielen; Baumwollspinnereien versuchten, für den Konsum im Lande 
zu arbeiten; Papierfabriken, Bierbrauereien, Zündholzfabriken, Verfertiger von Regenschirmen usw. 
suchten das Feld zu gewinnen, das sich bis dahin europäische oder amerikanische Fabrikate erobert 
hatten. Man rechnete besonders auf die niedrigen Löhne, durch die andere Schwierigkeiten, wie 
Kleinheit des Betriebes, hoher Zinsfuss der Kredite, Ungeschultheit des Arbeiterstammes aus- 
geglichen werden sollten. Die Schwankungen des Silberkurses erschwerten die Konkurrenz, wenn 
infolge der amerikanischen Gesetzgebung (Sherman Bill) eine starke Steigerung eintrat, und 
erleichterten sie, wenn, wieim Jahre 1893 nach Aufhebung der Bland Bill, ein Preissturz des weissen 
Edelmetalls auf dem Weltmarkte erfolgte. 
Es ist bei der Unerfahrenheit der so lange in Abgeschlossenheit lebenden Bevölkerung und 
den erwähnten Störungen des inneren Friedens und der Währungsverhältnisse leicht erklärlich, 
dass die sıch überstürzenden Versuche zur Erweckung der produktiven Kräfte nicht den erwarteten 
schnellen finanziellen Erfolg hatten. Die vom Staate betriebenen Fabriken mussten schon deshalb 
mit Verlust arbeiten, weil sie als Lehrbetriebe gedacht waren und die aus dem Ausland bezogenen 
technischen Berater hoch besolden mussten. Ausser Eisenbahnen, Telegraphen, Schiffswerften, 
Gewehrfabriken, einer Pulverfabrik, eines Hüttenwerks, einer Tuchmacherei und Gerberei für 
Militärbekleidungszwecke begründete und unterhielt die Regierung seit Mitte der siebziger Jahre 
auch eine Reihe von Musteranstalten für die Fabrikation von Zement, Glas, billigem Papier, 
Schrifttypen, Seife und manchem andern, was man im Lande früher nicht herzustellen vermochte. 
Filaturen für die Zubereitung der Rohseide zum Verkauf auf dem Weltmarkte, Baumwollspinnereien 
und Webereien nach europäischer Art, Seifensiedereien und Sodafabriken, Zuckerraffinerien und 
Laboratorien für Keramik und Färberei mussten als Pfadfinder von der Regierung entweder selber 
unternommen oder ausgiebig unterstützt werden. Den Provinzialverwaltungen konnte man von 
dıeser Aufklärungsarbeit für Hebung des Gewerbfleisses nur wenig auferlegen, weil zu gleicher Zeit 
dıe musterhafte Organisation des Elementarschulwesens und die Herstellung fester Fahrstrassen 
für die sich schnell über das ganze Land verbreitenden zweiräderigen Karren zum Menschen- und 
Lastentransport die Lokalsteuern ausserordentlich anschwellten. Ja, die Regierung scheute sich 
nicht, Leistungen, die eigentlich dem Staate obliegen sollten, wie für den Bau und 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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