Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

  
376 Schachner - Riess, Japans wirtschaftliche und soziale Probleme. 
EERREERHERERNS U 
  
  
bei, um das reduzierte Flottenprogramm durchführen zu können. Im Wettbewerb um den poli- 
tischen Einfluss ın Korea verlor Japan daher bereits gewonnenes Terrain an China, das von dem 
jetzigen Präsidenten der Republik Juanschikai zielbewusst und geschickt vertreten wurde. Im Juli 
1894 nahm deshalb die japanische Regierung den Kampf auf, obwohl die chinesische Nordflotte der 
ganzen maritinen Macht Japans an Gefechtswert der Schiffe überlegen war. Dennoch heftete sich 
der Sieg zu Wasser und zu Lande an die Fahnen des Inselreiches. Nicht nur die Vorherrschaft in 
Korea, sondern auch den Besıtz der Insel Formosa und der Pescadoren und eine mit Russlands 
Hilfe schnell gezahlte Kriegsentschädigung von 300 Millionen Yen war die Beute des Siegers. Damit 
begann für das wirtschaftliche und politische Leben Japans eine neue Epoche. Das neu gewonnene 
Ansehen in der Welt, der eroberte Kolonialbesitz der durch Zuckerbau, Reisüberschuss, Teeexport 
und Kampferproduktion für den Weltmarkt wichtigen Insel Formosa und der Geldstrom, über den 
die Regierung verfügte, ermunterten die regsamen Teile der Bevölkerung zu waghalsigem Unter- 
nehmungsgeist und scharfer Konkurrenz mit den fortgeschrittensten Industrieländern. Die Regie- 
rung kam diesen Bestrebungen um so bereitwilliger entgegen, weil sie nach der bitteren Erfahrung 
der Intervention Deutschlands, Russlands und Frankreichs eine Verdoppelung des Heeres und der 
Flotte für notwendig hielt. Die Mittel dazu hoffte man aus der vermehrten Steuerkraft des Volkes 
ziehen zu können, sobald die ‚neue Industrie‘ das Land wirtschaftlich den Grössenverhältnissen 
der Interventionsmächte näher gebracht haben würde. Als Hauptmittel dazu erschien die Eroberung 
des chinesischen Marktes und ein energischer Mitbewerb in der ganzen Welt. Durch Subventionen 
von Dampferlinien nach Amerika und Europa, Belebung des inneren Verkehrs mittels Bahnbauten 
und Dampferlinien, Unterstützung begehrenswerter industrieller Unternehmungen aus Staats- 
mitteln wollte man schnell vorwärts kommen. Um den Mitbewerb auf dem Weltmarkt zu fördern 
und die Beschaffung ausländischen Kapitals für staatliche und private Zwecke zu erleichtern, 
wurde durch den Grafen Matsukata 1897 dic Goldwährung eingeführt, obwohl angesehene Wiırt- 
schaftspolitiker in der mit China gemeinsamen Silberbasis einen für die Erringung des Übergewichts 
im Güteraustausch mit dem volkreichen Nachbarreiche schätzenswerten Vorteil sahen. Die ver- 
änderte Lage spiegelt sich in den vermehrten Staatsausgaben. Sie erreichten schon 1896 bıs 1897 
1687/, Millionen, das Jahr darauf 223°/, Millionen, zwei Jahre später über 254 Millionen und ım 
Jahre darauf (zur Jahrhundertwende) 2923/, Millionen. Da die Regierung während des dreiviertel- 
jährigen Feldzuges auf dem Kontinent den fehlenden Traindienst durch ‚‚Kriegskulis‘ ersetzt hatte, 
so kehrten viele Tausende mit gesteigerten Ansprüchen an ıhre Lebenshaltung und mit gehobenem 
Selbstgefühl in die Heimat zurück. Dort war zwar infolge der neuen Gründungen die Arbeits- 
gelegenheit vermehrt und der Tagelohn gestiegen; aber mindestens ebenso stark hatten sich auch 
die Lebensmittel verteuert und die gewohnten Bedürfnisse gesteigert. Seit dem Jahre 1897 hat auch 
Japan eine Arbeiterbewegung, die sich in Lohnkämpfen, Ausständen und Autruhrszenen stärker be- 
merkbar macht alsin Aussperrungen und Organisationen der Arbeitgeber. Besonders der erfolgreiche 
Streik der Maschinisten der grössten japanischen Eisenbahngesellschaft (Nippon Tetsudo Kaısha) ım 
Februar 1898 hat dazu geführt, dass das englische Wort ‚strike‘ auch im Japanischen eın jeder- 
mann geläufigcs Lehnwort wurde und dass die Arbeiterfrage ein stehendes Kapitel ın der öffent- 
lichen Diskussion der Tageszeitungen und der national-ökonomischen Zeitschriften wurde. Der 
soziale Gedanke wurde durch japanische Gelehrte, die aus Deutschland zurückgekehrt waren, eifrig 
gepflegt, und aus Amerika brachten japanische Studenten und Arbeiter die Forderungen der 
„Knights of labour‘ als Gegengift gegen den Egoismus des sich immer mehr ausbreitenden plutokra- 
tischen Unternehmertums. Solange, von der allgemeinen Hochkonjunktur des Weltmarktes be- 
sünstigt, der neue Aufschwung der Volkswirtschaft anhielt, bewahrte die japanische Regierung den 
Anfängen der Arbeiterbewegung gegenüber eine wohlwollende Neutralität. Es wurde sogar im Minı- 
sterium für Ackerbau und Handel ein Arbeiterschutzgesetzentwurt ausgearbeitet und nach wıeder- 
holten Revisionen durch die ‚Kommission zur Untersuchung des Fabrikwesens‘ ım November 1902 
veröffentlicht; aber da sich das Unternehmertum sehr absprechend darüber äusserte und inzwischen 
andere politische Fragen die Aufmerksamkeit der Regierung ausschliesslich in Anspruch nahmen, so 
wurde polizeilich allen solchen den inneren Frieden gefährdenden Erörterungen gewaltsam ein Ende 
gemacht und die eben erst zu täglichem Erscheinen fortgeschrittene Zeitung ‚Arbeitswelt‘ unter- 
  
  
  
  
  
  
 
	        
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