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392 Philipp Zorn, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit.
trug ein rein protestantisches Gepräge, indes dıe gewaltigen Traditionen, die nach dieser Richtung
die katholische Kirche im mittelalterlichen Papsttum hat, eine Erneuerung in der modernen Friedens-
bewegung, wenn überhaupt, nur in ganz geringem Umfang fanden. Zweitens bildete und bildet der
Friedensgedanke einen starken Bestandteil der machtvollen so zıalen Bewegungen unserer Zeit.
Auch wenn diese Bewegungen nicht so weit gingen, dıe Idee des besonderen Volkes und Vaterlandes
ganz aufzulösen in dem Schlachtruf: ‚Proletarier aller Länder vereinigt euch!”’, so besteht doch
kein Zweifel, dass der moderne Sozialismus grundsätzlich Frieden unter den Staaten predigt und
verlangt, um die von ihm als Existenzbedingung der Völker geforderte Umgestaltung der Erwerbs-
verhältnisse der Menschheit duchführen zu können. Man wendet sıch mit aller Schärfe gegen den
Gedanken äusserer Kriege, um, wenn nötig, deninneren Krieg zur Erreichung jenes sozialen
Zieles führen zu können. Wie immer man nun zu diesen sozialen Fragen stehen mag, so ist doch
zweifellos, dass der Friedensgedanke als ein wesentlicher Bestandteil des modernen Sozialismus
zu betrachten ist, selbst bis zu dem Extrem der vollständigen Beseitigung der bestehenden
Heere. Neben diesen beiden Richtungen entwickelte sıch ım Laufe der letzten Jahrzehnte noch
eine dritte, wesentlich auf literarıscher Grundlage, als deren Begründerin und geistiger
Mittelpunkt die Wiener Schriftstellerin Berta von Suttner bezeichnet werden darf. Unabhängig
von religiösen, politischen und sozialen Gedanken verwirft sie den Krieg als solchen aus rein kultu-
rellen Gesichtspunkten und fordert die Erledigung aller ınternationalen Streitfälle auf friedlichem
Wege, da der Krieg unter allen Umständen eine Barbarei seı, durch die in nıcht zu verantwortender
\Weise hohe Kulturwerte der Menschheit gefährdet und vernichtet würden. Diese literarische
Bewegung des sog. Pazıfıismus hat eine immer steigende Bedeutung gewonnen und kann,
wenn auch anfangs ziemlich allgemein und vielfach auch heute noch geringschätzig betrachtet,
dermalen nıcht mehr ın ıhrer ethısch-kulturellen Wırksamkeit verkannt werden, auch dann wenn
man Klarheit der Endziele und richtiges Augenmass für die politischen Kräfte der Wirklichkeit
vielfach vermisst. Es konnte selbstverständlich nicht fehlen, dass die drei oben gekennzeichneten
Richtungen der Friedensbewegung sıch mannigfach begegneten und ın einander übergingen behufs
Erreichung des von ihnen in gleicher Weise erstrebten Zieles.
2. Einen mächtigen Aufschwung nahm die Friedensbewegung durch die Berufung der ersten
Haager Friedenskonferenz ım Jahre 1899. Ob, wie die Pazifisten behaupten, die
vom russischen Kaiser Nikolaus II. ausgegangene Berufung dieser Konferenz auf pazifistischen
Anregungen direkt beruhte, muss dahingestellt bleiben; zweifellos haben diese Anregungen auf den
russischen Kaiser stark eingewirkt.
Unter grosser Bewegung der Geister in der ganzen Welt trat die ‚Friedenskonferenz
zusammen. Ihre bedeutenden kriegsrechtlichen Arbeiten, die in der ersten und zweiten Kommission
durchgeführt wurden, interessieren hier nicht; dem Ideenkreis der Friedensbewegung aber gehören
zwei Arbeiten der Konferenz an: Die sog. Abrüstung und die Schiedsgerichtsbar-
keit. Die Beratung über den erstgenannten Gegenstand — in der ersten Kommission — war von
dramatischer Kürze. Man erkannte sehr bald, dass eine praktische Verwirklichung dieser Gedanken
bei den gegenwärtigen Staats- und Weltverhältnissen unmöglich sei; so wurde der Gedanke nach
kurzer Verhandlung dem ‚weiteren Studium” der Regierungen überwiesen und auch auf der zweiten
Friedenskonferenz 1907 war die Frage noch nicht weiter ausgereift. Dabei ist es bis zu diesem Augen-
blick geblieben: Die Rüstungen der Staaten haben sich nicht vermindert,
sondern ın sehr erheblichem Grade vermehrt.
Dagegen erwies es sich als möglich, dm Schiedsgerichts gedanken eine praktische
Verwirklichung zu geben und zwar in einem Grade, der die Hoffnungen, die man in dieser Hinsicht
sehegt hatte, erheblich übertraf.
Der Gedanke der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit reicht weit zurück in der Geschichte
der Menschheit; sowohl das Altertum wie das Mittelalter kennen ihn und haben ihn praktisch geübt.
Auch ım Rahmen des modernen Völkerrechtes hatte der Gedanke eine, wenn auch kümmerliche,
theoretische Gestaltung gefunden und die Praxis der Neuzeit hatte von ihm in zahlreichen Fällen
Gebrauch gemacht; der bekannteste Fall der Neuzeit ist wohl der berühmte Alabamastreit zwischen