Philipp Zorn, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. 395
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England und den Vereinigten Staaten. Hatten zweı Staaten sıch auf schiedsrichterliche Erledigung
eines Streitfalles grundsätzlich geeinigt, so musste aber für die Durchführung der Sache erst so gut
wie alles durch einen besonderen Staatsvertrag (, Kompromiss’) für den einzelnen Fall geregelt
werden.
An diesem Punkte setzten die russischen Vorschläge und auf ıhrer Grundlage die Arbeiten
der ersten Friedenskonferenz ein. Ohne erhebliche Schwierigkeit wurde eine umfassendeOrdnung
des Verfahrens für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit zum Abschlusse gebracht und
damit die Notwendigkeit beseitigt, erst immer ım einzelnen Falle diese Ordnung des Verfahrens
herzustellen. Schon darin lag ein sehr bedeutender Fortschritt für Theorie und Praxis des Völker-
rechtes. Auch andere mit der Schiedsgerichtsbarkeit ın Zusammenhang stehende Streitiragen
des Völxerrechtes konnten ohne grosse Schwierigkeiten erledigt werden, so die sog. „guten
Dienste (bons offices)” und die Medıation; ein bisher dem Völkerrecht fast unbekanntes
Kapitel wurde dem Katalog dieser Friedensmittel zur Erledigung internationaler Streitfälle an-
gefügt, de Untersuchungskommiıssiıonen (commissions d’enquete). In gründlicher
Beratung wurden über alle diese Fragen dauernde Regeln geschaffen, durch Staatsvertrag dem
positiven Völkerrecht eingefügt und auf der zweiten Friedenskonferenz ın Einzelpunkten ergänzt,
erweitert, verbessert. Für leichtere Streitfälle fügte die zweite Konferenz noch ein Kapitel
über ein abgekürztes Verfahren beı.
3. Über die Bildung des Schiedsgerichtes selbst enthielt der russische Entwurf keine Vor-
schriften; darnach sollte dies also der Regelung der Parteien im einzelnen Falle überlassen bleiben.
Es ist das welthistorische Verdienst des englischen Delegierten, Sir Julian Pauncefote,
auch in diesem Punkte einen Fortschritt des Völkerrechtes herbeigeführt zu haben, den man vor der
Konferenz von 1899 wohl allgemein als unmöglich betrachtet hatte. Dieser Fortschritt liegt in dem
sog. „permanenten Tribunal”, dem ständigen Haager Schıedshof. Der
englischen Anregung schlossen sıch sofort Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika an,
so dass dem Komitee drei formulierte Entwürfe vorlagen. Hierfür die Zustimmung des Deutschen
Reiches zu gewinnen, bot sehr grosse Schwierigkeiten. Es bedurfte einer längeren Verhandlung
des deutschen Delegierten ın Berlin, um die Zustimmung des Deutschen Reiches zu erzielen. Als
dies Ziel erreicht war, wurde auch über diesen Punkt die Verhandlung rasch und glatt zu Ende
geführt und der Haager Schiedshof in der Weise gebildet, dass jeder Staat bis zu vier
Richterernennenkann und dass aus dieser „Cour permanente” imeinzelnen
Streitfalleein Schiedsgericht von fünf Mitgliedern jederze ıt sofort
berufen werden kann. In einer erheblichen Zahl von, teilweise sehr schwierigen, Streitfällen hat
das so konstituierte Haager Schiedsgericht dem Weltfrieden wertvolle Dienste geleistet. Die von
Amerika ausgehenden Bestrebungen, diesen Schiedsgerichtshof zu ersetzen durch ein mit ständigen
Richtern besetztes dauerndes Schiedsgericht — etwa in Verbindung mit dem projektierten
Prisenhofe —, haben das Stadium des unreifen Projektes noch nicht überschritten und dürften
zur Zeit, zumal nach Ablehnung des Prisen-Abkommens durch das englische Oberhaus, nur
wenig Aussicht auf Verwirklichung haben.
4. Dagegen konnte eine andere Grundfrage bis jetzt nicht zur endgiltigen Erledigung gebracht
werden, die Frage: welche internationalen Streitfälle sollen dem Schieds-
gserichtunterbreitetwerden?
Der russische Entwurf hatte die Antwort auf diese Frage in folgender Weise gegeben: 1. Grund-
sätzlichsolldiesSachedesfreien Willensder Parteien sein; 2.ingewissen Dingen,
insbesondere wirtschaftlichen und finanziellen Fragen, soll jedoch eine Rechtspflicht zur Anrufung
des Schiedsgerichtes vorgeschrieben werden (sog. „obligatorischesSchiedsgericht“);
diese Dinge waren in einem Katalog aufgezählt, der, in eingehender Beratung festgestellt, zwölf
Kategorien enthielt, darunter Post- und Telegraphen-, Eisenbahn-, Mass- und Gewichtsachen
u. dgl.; 3. aber auch in diesen Sachen soll die Rechtspflicht, das ‚Obligatorıum”, ausgeschlossen
sein, wenn eine Partei erklärt, die nationale Ehre oder die Lebensinteressen