Einleitung; Wirtschaft. 8 3. 15
5. Hatte der Sozialismus selbst da, wo ihm wie in Amerika freie Be-
wegung gegeben war, zu dauernden praktischen Ergebnissen nicht ge-
führt, so gebührt der unter Anlehnung an Sismondi und Friedrich
List in neuester Zeit entstandenen historischen Schule das Verdienst,
die sozialen Fragen in die richtigen Bahnen zurückgeleitet zu haben.
Auch sie bildet einen Gegensatz zur Smithschen Schule. Während
diese alle Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens aus allgemeinen
Wirtschaftsgesetzen abzuleiten sucht (Deduktion) und damit einen welt-
bürgerlichen Zug annimmt, gründet die historische Schule ihre Grund-
sätze auf die Beobachtung der verschiedenartigen einzelnen Erscheinungen
(Induktion) und wird damit zu einer Berücksichtigung der verschiedenen
wirtschaftlichen Verhältnisse in den einzelnen Ländern geführt. Gegen-
über der schrankenlosen Freiheit des „Gehen= und Geschehenlassens“
erkennt sie die Mitwirkung des Staates zum Schutz der Schwachen und
zur Belebung des Gemeinsinns als berechtigt an und will nicht das
Selbstinteresse als alleinige Triebfeder für die wirtschaftlichen Vor-
gänge gelten lassen, sondern auch sittliche und nationale Triebkräfte
darin anerkannt sehen.o)
So richtig diese Grundsätze, deren Gesamtheit als Kathedersozialismus
und, soweit sie ein stärkeres unmittelbares Eingreifen des Staates fordern,
als Staatssozialismus bezeichnet worden ist, an sich sind, muß ihre An-
wendung doch in bestimmten Grenzen gehalten werden. Jeder einseitige
Schutz der im wirtschaftlichen Kampfe schwächeren Parteien würde nicht
nur der ausgleichenden Gerechtigkeit widersprechen, sondern auch große
Gefahren für die wirtschaftliche Entwickelung mit sich bringen. Die Unter-
nehmungen ernähren nicht nur die Unternehmer, sonder gleichzeitig die
Arbeiter und mittelbar auch den Staat. Ihre Erhaltung liegt deshalb
im Interesse aller dieser Beteiligten. Die sozialen Anforderungen dürfen
deshalb nicht so hoch gespannt werden, daß die Ertrags= und damit die
Lebensfähigkeit der Unternehmungen in Frage gestellt, insbesondere der
Mitbewerb mit dem Auslande unmöglich gemacht wird. Das würde neben
den Unternehmern auch den Arbeitern die Lebensbedingungen abschneiden.
Die Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, unsere Sozialpolitik in den
richtigen Grenzen zu halten, verdienen deshalb die ernsteste Beachtung.
10) Sismondi (1773—1842), fran-!deutung für die Schutzzollpolitik 8 161
zösischer Geschichtsschreiber in Genf. — Abs. 5. — Seine bedeutendsten Nach-
Friedrich List, geb. 1789 in Reutlingen, folger sind Roscher (8 2 Anm. 1, 8§ 3
ging, in der Heimat verfolgt, nach Ame= Anm. 6, 7 u. 10) u. Knies.
rika (1825—32) u. starb 1846. — Be-