Das Deutsche Reich Verfassung. 87. 19
sollte zugleich zu einer festeren und dauernden Gestaltung zusammen-
wachsen. Nachdem die süddeutschen Staaten durch die Novemberverträge
dem norddeutschen Bunde beigetreten waren,) wurde die deutsche Kaiser-
würde von den vereinten Fürsten und freien Städten dem König von
Preußen angetragen und von diesem feierlich angenommen.5) Die Main-
linie, die den Norden und Süden Deutschlands bislang getrennt hatte, war
verschwunden, der norddeutsche Bund zum Deutschen Reiche erweitert.
Die neuen Einrichtungen erhielten in der Reichsverfassung ihren
Ausdruck, die mit nur unwesentlichen Abweichungen den Inhalt der bis-
herigen Bundesverfassung und der Novemberverträge zusammenfaßte und
von dem dieserhalb berufenen Reichstage angenommen wurde.7) — Mit dem
Reich wurde das von Frankreich abgetretene Gebiet Elsaß-Lothringen ver-
einigt.8)
II. Reichsverfassung.
1. Aberstcht.
§ 7.
Das Deutsche Reich, begründet als „ewiger Bund zum Schutze des
Bundesgebietes und des innerhalb desselben giltigen Rechtes, sowie zur
Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes“, bildet einen Bundesstaat, 1)
der nach außen die Gemeinsamkeit des Schutzes und der Vertretung, nach
innen die Gleichmäßigkeit der Gesetzgebung und Verwaltung auf den ihm
5) Baden u. Südhessen Verfassung u. #
Schlußprot. 15. Nov. 70 (BGl. 627 u.
650); Württemberg Vtr., Schlußprot. u.
Mil. Konv. 25. Nov. 70 (BGl. 654, 657
u. 658); Bayern Vtr. u. Schlußprot.
23. Nov. 70 (BEGl. 71 S. 9 u. 23).
6) Publ. 18. Jan. 71.
7) Einführungs G. 16. April 71 (RB.
63). — Zugleich wurde eine Mehrzahl der
norddeutschen Bundesgesetze zu Reichs-
gesetzen erklärt, das. § 2; für Baden u.
Südhessen Art. 80 der Verf. von 1870
(Anm. 5); für Württemberg Art. 26 des
Vtr. (Anm. 5); für Bayern III § 8 des
Vtr. (Anm. 5) u. RG. 22. April 71
(Rol. 87). — Bearb. der Reichsver-
fassung v. Rönne (10. Aufl. Berl. 12),
Zorn (Berl. 95), Arndt (5. Aufl. Berl. 13),
Dambitsch (Berl. 10), Seydel (2. Aufl.
Freib. 97), Reincke (Berl. 06). Die das
Deutsche Reich (Verfassung, Behörden und
Beamte, Finanzen, Elf.-Lothringen) be-
treffenden Gesetze sind vom Verfasser
bearbeitet (Berl. 01). Systematische Be-
arbeitungen § 1 Anm. 10 d. W.
8) G. 9. Juni 71 (RGB. 212) § 1.
— 8§ 25—28 d. W.
1) Die Zwecke des Staates können in
dem einzelnen Staate ihre volle Erfüllung
finden (Einheitstaat) oder zur Ver-
bindung einer Mehrheit von Staaten
Anlaß geben. Diese Verbindung heißt
Staatenbund, so lange sie die Einzel-
staaten nur durch Vertrag zusammenhält
und deren Vollgewalt (Souveränität) un-
berührt läßt. Sie wird zum Bundes-
staate, wenn sie selbst die Souveränität
erlangt und durch die eigene Gesetzgebung
über die Einzelstaaten hinweg zu den
Staatsangehörigen in Beziehung tritt;
Anm. 3 u. 8§ 17 Abs. 1. Der Staaten-
bund ist ein völkerrechtliches, der Bundes-
staat ein staatsrechtliches Gebilde; ersterer
bildet ein Rechtsverhältnis, letzterer eine
Staatspersönlichkeit. Der Bundesstaat
heißt nach dem Uberwiegen des Gesamt-
staates oder der Einzelstaaten unitarisch
oder föderalistisch. — Staatenbunde waren
der deutsche Bund und die Schweiz
vor 1848, Bundesstaaten sind das Deut-
sche Reich, die heutige Schweiz und die
Vereinigten Staaten von Nordamerika.
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