96 § 12. Volksstaaten (Demokratien).
dem Parlament kann eine selbständige oder eine unselbst-
ständige sein.
1) Bei der selbständigen Präsidentschaft
ist die Teilung der Gewalten (S. 133 ff.) in der Regel
derart durchgeführt, daß die Gesetzgebung (Legislative) dem
Parlament, die Verwaltung (Exekutive) dem Präsidenten,
die Rechtsprechung (Justiz) unabhängigen Gerichten zusteht.
Immerhin ist dem Präsidenten ein Einfluß auf die
Legislative insofern eingeräumt, als ihm gegen die von
den Kammern beschlossenen Gesetze ein (suspensives) Veto
zusteht, das nur durch einen neuen, mit verstärkter Mehr-
heit zu fassenden Beschluß der Kammern beseitigt werden
kann. "
Umgekehrt ist den Kammern kein Einfluß auf die
Exekutive eingeräumt. Insbesondere wählt der Präsident
die Minister nach Gutdünken, ist also freier gestellt als
der Monarch in der parlamentarischen Monarchie (S. 97).
Die selbständige Präsidentschaft findet sich vor allem in
der Union, sie zeigt sich auch darin, daß der Präsident nur
durch Botschaften mit dem Senat und dem Staatenhause ver-
kehrt und daß seine Kabinettssekretäre bei den parlamentarischen
Verhandlungen nicht, erscheinen dürfen. Ueber die Entwicklung
der Verfassung in den Vereinigten Staaten vgl. S. 126.
2) Bei der unselbständigen (parlamenta-
rischen) Präsidentschaft
ist der Einfluß der Kammern überwiegend. Die Legis-
lative steht allein ihnen zu. Wenn dem Präsidenten ein
Veto zusteht, so ist (so in Frankreich) die Folge nur die
Notwendigkeit einer neuen (einfachen) Abstimmung. Die
Exekutive steht zwar formell dem Präsidenten zu. Dieser
ist aber genötigt, die Minister aus der Kammermehrheit
zu entnehmen; er führt daher, da er der Gegenzeichnung
der Minister zu jedem Regierungsakt bedarf, tatsächlich
die Regierungsgeschäfte nach dem Willen der Kammer-
mehrheit (pbarlamentarische Regierung,).
Zur politischen Würdigung der parlamentarischen Prä-
sidentschaft ist zu erwägen, daß die Einwirkung zahlreicher viel-
fach von Parteiinteressen, egoistischen und selbst materiellen Be-
weggründen beherrschter, unverantwortlicher Personen auf die
Staatsregierung („parlamentarische Nebenregierung“) dieser die
Stetigkeit, Einheitlichkeit und Energie nimmt, deren sie nach
innen und in noch höherem Maße nach außen bedarf. Die