Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

178 8 23. Die Organisation der Verwaltung. 
8. System der Selbstverwaltung (Dezen- 
tralisation). 
Der Staat behält sich nur einen Teil der Hoheits- 
rechte zur alleinigen und unmittelbaren („selbständigen“) 
Verwaltung vor (in der Regel Krieg, auswärtige An- 
gelegenheiten, Justiz). Für einen anderen Teil (Finanzen, 
Inneres) delegiert er die Staatsgewalt an die im Staate 
gebildeten Gebietskörperschaften (Kommunen: Provin- 
zen, Kreise, Land= und Stadtgemeinden; Amtsbezirke) 
zur selbständigen Verwaltung für ihr Gebiet oder an son- 
stige öffentliche Körperschaften (z. B. Innungen, Zweck-, 
Deich-, Armen-, Schulverbände; Wege-, Wald-, Wasser- 
genossenschaften; Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, 
Versicherungsanstalten) für ihre Geschäftsorgane und be- 
hält sich nur die Feststellung der Zuständigkeit und die 
obere Aufsicht vor. 
Selbstver waltung heißt hiernach das Verwaltungs- 
system, bei welchem die im Staate bestehenden, mit eigener 
„Rechtsfähigkeit“ ausgestatteten Körperschaften, die auf ihrem Ge- 
biete erwachsenen staatlichen Aufgaben durch eigene Organe und 
unter eigener Verantwortung erfüllen. Der Ausdruck ist eine 
Uebersetzung des englischen selkgovernment. Hiermit ver- 
bindet sich aber noch ein anderer Sinn. Die deutschen Staats- 
rechtslehrer, die die englische Verfassung und Verwaltung stu- 
dierten und als Vorbild nahmen, besonders Rudolf v. Gneist 
(1816—1895), fanden, daß in England eine Dezentralisation der 
Staatsverwaltung unter Heranziehung von ehrenamtlich tä- 
tigen Laien, besonders für das Amt der Friedensrichter 
S. 179), stattfindet. Sie nannten Selbstverwaltung darnach die 
orm der Verwaltung, bei der die Staatsaufgaben nicht durch 
staatlich angestellte und besoldete Berufsbeamte, sondern durch 
bestellte oder gewählte ehrenamtlich tätige Laien erfolgt. Später 
erkannte man, daß nicht die Heranziehung von unbesoldeten 
Laien, sondern die Übertragung öffentlicher Funktionen an selbst- 
ständig gemachte Staatsteile (Gebietskörperschaften) oder Kör- 
perschaften das Wesen der Selbstverwaltung ausmacht. Die Be- 
schäftigung von Nichtberufsbeamten ist darnach kein Merkmal der 
Selbstverwaltung, sondern hat sich nur aus dem Wunsche heraus- 
gebildet, die örtliche Verwaltung billiger und zweckmäßiger zu 
gestalten und gewissen Verwaltungszweigen eine größere Un- 
abhängigkeit zu sichern. Uebrigens werden Nichtberufsbeamte 
auch bei der Erfüllung rein staatlicher Aufgaben herangezogen, 
wie zum Justizdienst (Handelsrichter, Schöffen, Geschworene). 
Hier wird der Begriff Selbstverwaltung ausschließlich in 
diesem („deutschen“") Sinne verwendet (Verwaltung zu eignem 
Recht durch eigene — besoldete oder unbesoldete — „mittelbare“,
	        
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