Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

206 § 29. Das Reich und die Bundesstaaten. 
2. Alle diese Umstände kennzeichnen das Reich als 
einen Bundesstaat. Es ist kein bloßes Rechtsverhält- 
nis, kein Staatenbund (föderalistische Auffassung), 
anderseits auch kein Einheitsstaat (unitaristische Auf- 
fassung), denn die Gliedstaaten bleiben als, zwar nicht mehr 
souveräne, so doch autonome Staaten (S. 27) erhalten, sie 
sind nicht zu Gebietskörperschaften herabgesunken. 
b. Das Reich ein Rechtssubjekt. 
Als Bundesstaat ist das Reich ein Rechtssubjekt des 
öffentlichen Rechts (so auch RGZ. 44 380). Subjekt 
der Staatsgewalt (S. 29) ist das Reich selbst. Bestritten 
ist dagegen angesichts der eigenartigen Gestaltung der 
RV., wer der Träger der Souveränität (S. 31) im 
Reiche ist. Alle Staatsformen haben Verteidiger gefunden. 
Während z. B. Piloty das deutsche Kaisertum als die 
zur höchsten weltlichen Staatsgewalt gesteigerte deutsche Monarchie 
(wenn auch nicht im Sinn eines deutschen Gebietskönigtums) an- 
sieht, wird das Reich von G. Meyer (1868) als konstitutio- 
nelle Aristokratie (ebenso, jedoch weniger bestimmt, Anschütz 
und Hubrich), von Jellinek als oligokratische Republik an- 
gesprochen; eine von letzterem angeführte französische Ab- 
handlung (1912) nimmt an „une république aristocratico- 
démocratico-monarchique“. Jedenfalls wird die Auffassung als 
Republik der Sachlage am meisten gerecht. Nach Bismarcks 
bekanntem Ausspruche (1871) ruht die Souveränität 
nicht beim Kaiser, sondern bei der Gesamtheit der ver- 
bündeten Regierungen. Daß diese „gewissermaßen eine 
republikanische Spitze“ bilden, hat Bismarck bei der Beratung 
der Verfassung des Norddeutschen Bundes ebenfalls hervorgehoben. 
Ob unter den hiernach als Träger der Reichssouveränität zu 
erachtenden verbündeten Negierungen die Landesherren und Senate 
der Freien Städte (so Laband) oder die Staaten (so An- 
schütz) zu verstehn sind, ist immer noch zweifelhaft. Mit- 
unter werden als „verbündete Regierungen“ auch deren Vertreter, 
der Bundesrat, bezeichnet, ähnlich wie Bismarck (1867) den letz- 
teren ein souveränes Oberhaus nannte, in welchem der König 
von Preußen primus inter pares sei; Vertretene und Vertreter 
sind hier vereinheitlicht. 
8§8 29. Das Reich und die Bundesstaaten. 
a. Allgemeines. 
Nach dem S. 122 Gesagten findet zwischen Reich 
und Einzelstaaten eine Teilung der Hoheitsrechte (nicht 
der Souveränität oder der Staatsgewalt, S. 32) statt, da 
auf das Reich ein Teil der Herrschaftsrechte der Einzel-
	        
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