§ 29. Das Reich und die Bundesstaaten. 211
Teile der badischen Kreise Konstanz und Waldshut, sog. Zoll-
exklaven). .
Der verfassungsmäßige Ausschluß der süddeutschen Staaten
von der Branntweinsteuergemeinschaft (RV. Art. 35 II, 38 IV)
ist zwar beseitigt. Doch nehmen diese Staaten auch jetzt noch
eine gewisse Sonderstellung ein (vgl. S. 466).
c. Die praktisch sehr wichtige Frage, welche Rechte
im einzelnen zu den Sonderrechten zu zählen
sind, dergestalt, daß ihre Aufhebung nur gemäß Art.
78 II erfolgen kann, ist äußerst bestritten.
1) Während die eine Ansicht (Laband, v. Seydel,
Arndt), welcher auch die oben vertretene Meinung folgt, über-
haupt alle Ungleichheiten im Umfange der Staatenrechte unter
Art. 78 II fallen läßt, betrifft Art. 78 II nach der anderen Ansicht
(G. Meyer, Haenel, Zorn) nur solche Rechte, welche zugunsten
einzelner Staaten die allen Bundesstaaten gegenüber an sich
gleiche Zuständigkeit einschränken, diese Zuständigkeit also ein-
zelnen Staaten gegenüber in gewissem Umfange negieren.
Nach dieser Ansicht gehören beispielsweise das Recht Preußens
auf das Präsidium, das Recht Bayerns auf 6 Stimmen statt 4
im Bundesrate nicht zu den Sonderrechten; sondern diese Rechte
sind lediglich Ausdruck des Grundsatzes der RV., das Stimmen-
verhältnis der Einzelstaaten nach ihrer Größe und Bedeutung
abzustufen.
2) Eine andere Einteilung geht nicht vom Inhalte,
sondern von den rechtlichen Grundlagen der Sonderrechte
aus. Diese sind teils in der Verfassungsurkunde selbst (so der
Ausschluß der süddeutschen Staaten von der Brausteuergemein-
schaft: RV. Art. 35 1U), teils in den „Novemberverträgen“ (so
der Ausschluß Bayerns vom Immobilliarversicherungswesen:
Bayerisches Schlußprotokoll vom 23. Nov. 1870 Ziff. IV, vgl.
dazu § 3 des RG. vom 16. April 1871), teils endlich in beson-
deren Gesetzen (z. B. die Einrichtung des bayerischen Senats
beim Reichsmilitärgerichte, RS. vom 9. März 1899) ausge-
sprochen. Auf alle diese Sonderrechte wendet Laband (jetzt auch
Arndt) den Art. 78 II als allgemein gültigen Grundsatz an, wäh-
rend z. B. G. Meyer zu den Sonderrechten im Sinne des Art.
78 II nur die in der NV. festgestellten Exemtionen von der
Reichszuständigkeit rechnet.
J. Die Rechte der Bundesstaaten als auto-
nomer Staaten (iura singulorum), d. h. die
der Zuständigkeit des Reichs entzogenen, aber ihr wegen
der Kompetenz-Kompetenz (S. 204) jederzeit zu unterstel-
lenden Staatshoheits= und Vermögensrechte.