Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

214 8 30. Das Bundesgebiet. 
dem Gebiete der Einzelstaaten, es gibt also grundsätzlich 
kein Bundesgebiet, welches nicht Staatsgebiet, und kein 
Staatsgebiet, welches nicht Bundesgebiet ist. Eine Aus- 
nahme hiervon bildet nur Elsaß-Lothringen, wel— 
ches selbständiger Staat nicht anzusehen ist (unten 
S. 487). 
Es entsteht mithin die Frage, ob und inwieweit Ge— 
bietsveränderungen (Abtretungen, Erwerbungen) vom 
Reich und von den Bundesstaaten unabhängig voneinan— 
der vorgenommen werden können. Hierbei ist zu unter— 
scheiden: 
a. Soweit das Reich in Ausübung der ihm eige- 
nen Gebietshoheit innerhalb seiner Zuständigkeit 
(s. oben unter a) Veränderungen vornimmt, bedarf es 
nicht der Zustimmung der Bundesstaaten. Das Reich 
kann sogar einzelstaatliches Gebiet gemäß N. Art. 11 1 
bei Friedensschlüssen wider den Willen des betreffenden 
Staats abtreten. Das gleiche gilt für den Erwerb. Es 
könnte also z. B. durch Verfassungsänderung in das Reichs- 
gebiet ohne Zustimmung der Einzelstaaten ein neuer Bun- 
desstaat aufgenommen werden (z. B. Elsaß-Lothringen oder 
Holland). 
8. Abgesehen hiervon aber unterliegt eine Gebiets- 
veränderung der Gebietshoheit des einzelnen 
Staats. Da aber das Bundesgebiet im Art. 1 der 
Reichsverfassung verfassungsrechtlich festgestellt ist, so er- 
fordert jede Abtretung eines Gebietsteils an einen 
fremden Staat und jeder Neuerwerb außer- 
deutschen Gebiets durch einen der Bundesstaaten außer- 
dem ein verfassungsänderndes Reichsgesetz. 
Deshalb ist z. B. 1879 die Regelung der badischen Landes- 
grenze, wobei eine Gebietsabtretung erforderlich war, und ander- 
seits die Einverleibung Helgolands (S. 213) durch Reichsgesetz er- 
folgt, und ebenso hat das Reich in den Gesetzen vom 22. Januar 
1902 (oben S. 213) seine „Zustimmung“ zu den Gebietsab- 
tretungen durch Preußen an Osterreich bzw. Dänemark sowie 
zu dem Vertrage vom 20. Juni 1903 erteilt. 
Nach St GBB. § 813 wird wegen Hochverrats mit lebens- 
länglichem Zuchthaus oder lebenslänglicher Festungshaft bestraft, 
wer es unternimmt, das Bundesgebiet ganz oder teilweise einem 
fremden Staate gewaltsam einzuverleiben oder einen Teil des- 
selben vom Ganzen loszureißen. Vgl. unten S. 228.
	        
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