232 § 32. Die Reichsgesetzgebung.
die Fremdenpolizei bezügliche Verfassungsbestimmung (Art. 41)
noch nicht durch Reichsgesetz ausgeführt sei.
4. Die Reichsgesetze schaffen absolut-gemeines
Recht; denn sie gehen nach RV. Art. 2 den Landes-
gesetzen vor (S. 205).
Selbstverständlich kann sich aber ein Reichsgesetz auch
nur subsidiäre Geltung beilegen. Ob die reichsrecht-
liche Regelung einer Materie als ausschließliche gewollt oder
landesgesetzlicher Ergänzung zugänglich ist, ist mitunter in dem
betreffenden Reichsgesetz ausdrücklich bestimmt (vgl. z. B. Reichs-
seuchengesetz vom 30. Juni 1900 § 48 S. 411), andernfalls aus
den Umständen zu entnehmen (Kodifikation einer Materie).
Solange das Reich eine Materie (EGStGB. 8 2, R. Art.
4 sagt: „Angelegenheit“) reichsgesetzlich noch nicht geregelt hat,
untersteht sie im allgemeinen der Autonomie der Einzelstaaten.
Doch sind zahlreiche Gegenstände der Zuständigkeit der Bun-
desstaaten völlig entrückt (so das Kriegswesen, die Kriegsmarine,
bei der Handelsmarine die in NV. Art. 54 I aufgeführten Ange-
legenheiten, das gesamte Zollwesen nach Art. 35 usw.), S. 207.
Anderseits steht nichts entgegen, daß die Einzelstaaten be-
züglich solcher Gegenstände, die überhaupt nicht der Gesetzgebung
des Reichs unterliegen oder doch noch nicht reichsgesetzlich gere-
gelt sind, Verein barungen über eine gleichmäßige
ehandlung treffen (z. B. Grundsätze für den Vollzug ge-
richtlich erkannter Freiheitsstrafen, Bundesratsbeschluß vom 28.
Oktober 1897).
5. Der Erlaß von Reichsverordnungen zwecks
Ausführung der Reichsgesetze steht dem Bundesrate zu
(Art. 72, S. 239); hinsichtlich einzelner Rechtsgebiete (Post
und Telegraph Art. 50, Marine Art. 53, Landheer
Art. 63) ist er dem Kaiser zugewiesen.
a. Zorn entnimmt aus der staatsrechtlichen Stellung des
Bundesrats (S. 237), daß dieser ein selbständiges, auf Ausführungs-
vorschriften nicht beschränktes Verordnungsrecht innerhalb der
Schranken der Reichsgesetze habe; die herrschende Lehre ist an-
derer Meinung. Laband, dem die Mehrzahl der Staatsrechtslehrer
folgt, beschränkt ferner die in RV. Art. 72 dem Bundesrat ge-
gebene allgemeine Befugnis auf den Erlaß von Verwaltungs-
verordnungen (S. 148), während Arndt und Anschütz auch Rechts-
verordnungen aus Art. 72 zulassen; das Reichsgericht neigt in
RGZ. 40 70 (vgl. auch 76 19) der strengeren Auffassung zu,
die jedoch in anderen Entscheidungen (R. 55 150; 72 257)
nicht zur Geltung gebracht ist. Unzweifelhaft kann dagegen durch
besondere reichsgesetzliche Vorschrift die Ermächtigung zum
Erlasse von Rechtsverordnungen erteilt werden (dem Bundes-
rate, dem Kaiser, dem Reichskanzler oder anderen Reichsbehör-
den, schließlich auch den Einzelstaaten). Ob mangels besonderer