§ 32. Die Reichsgesetzgebung. 233
Vorschrift das Verordnungsrecht weiter übertragen werden kann,
ist streitig (dafür Arndt, dagegen Laband).
8. Notstandsverordnungen sind für das Reich nicht
zugelassen (für Elsaß-Lothringen vgl. S. 484, für Preußen S. 578).
f. Gang der Gesetzgebung.
1. Jeder der beiden oben S. 231 genannten gesetz-
gebenden Körperschaften steht das Recht der sog. Ini-
tiative zu, d. h. Gesetzesvorlagen können sowohl vom
Bundesrat an den Reichstag als auch umgekehrt ge-
macht werden. .
o.Art.25fprichtzwardemReichstagenurdasRechtzu,
„innerhalb der Kompetenz des Reichs“ Gesetze vorzuschlagen.
Da aber dem Reiche die „Kompetenz-Kompetenz“ (S. 204) zu-
steht, so kann auch der Reichstag zu Verfassungsänderungen und
Kompetenzerweiterungen die Initiative ergreifen.
8. Im Bundesrat ist nach Art. 7 II jedes Bundesglied
befugt, „Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, und
das Präsidium ist verpflichtet, dieselben der Beratung zu über-
geben“. Im Reichstage muß nach der Geschäftsordnung
jeder Antrag von mindestens 15 Mitgliedern unterzeichnet sein.
Geht der Gesetzesvorschlag vom Reichstag aus, so ist er von diesem
dem Bundesrat in seiner nächsten Sitzung vorzulegen. Geht
er dagegen vom Bundesrat aus, so wird die Vorlage nach Maß-
gabe der Beschlüsse des Bundesrats im Namen des Kaisers an
den Reichstag gebracht (RV. Art. 16), und zwar üblicherweise
mit folgender Formel:
„Im Namen Seiner Majestät des Kaisers beehrt sich der
Unterzeichnete den nebst Begründung beiliegenden Entwurf usw.,
wie solcher vom Bundesrat beschlossen worden, dem Reichstag zur
verfassungsmäßigen Beschlußnahme vorzulegen. Der Reichs-
kanzler“. »
über die Einbringung der Gesetze in Preußen vgl. S. 580.
7. Dem Kaiser steht, da er nicht gesetzgebender Faktor
ist, das Recht der Initiative nach der RV. nicht zu. Doch hat
sich infolge der Personeneinheit des Kaisers und Königs und in-
folge der Ausarbeitung der meisten Gesetzentwürfe in den Reichs-
ämtern gewohnheitsmäßig eine sehr umfassende „Kaiserliche Ini-
tiative“ herausgebildet. Daß es sich hierbei um eine selbstän-
dige Rechtsbildung handle, bestreitet allerdings Laband; nach
ihm sind die „Präsidialanträge“ im staatsrechtlichen Sinne preu-
Hische Anträge und werden als solche im Bundesrate behandelt.
d. Die vor der „Einbringung“ eines Entwurfs liegenden
Vorarbeiten („Materialien“, „Motive“, „Denkschriften“) sind für
die staatsrechtliche Entstehung des Gesetzes belanglos.
g ber ihre Verwertung für die Auslegung der Gesetze vgl.
. 1 5C 3.
2. Demnächst sind für den Werdegang eines
Gesetzes die folgenden Abschnitte zu unterscheiden.