§ 35. Der Reichstag. 2149
trauensmänner der einzelnen Fraktionen, die sich unter Leitung
des Reichstagspräsidenten über die geschäftliche Behandlung der
Reichstagsaufgaben besprechen und gewohnheitsmäßig über die
von jeder Fraktion in die „Kommissionen“, S. 255, zu entsendende
Zahl von Abgeordneten entscheiden) mindestens 15 Mitglieder
(mit Einschluß der „Hospitanten“) verlangt. Die Fraktionen
bestimmen tatsächlich meistens die Abstimmung und die Redner
(„Parteidisziplin“).
b. Zusammensetzung.
Der Reichstag geht aus allgemeinen und
direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung und
gleichem Wahlrecht hervor (RV. Art. 20), welche noch
auf Grund des Wahlgesetzes für den Reichstag des Nord-
deutschen Bundes vom 31. Mai 1869 (geändert durch
§ 23 des Reichsvereinsgesetzes vom 19. April 1908) voll-
zogen werden.
Gemäß 8§ 15 des Wahlgesetzes ist unter dem 28. Mai 1870
ein Wahlreglement ergangen, welches im Laufe der Zeit zahl-
reiche Nachträge und Abänderungen erfahren hat, so durch die
unter Zustimmung des Reichstags gefaßten Bundesratsbeschlüsse
gemäß Bekanntmachungen des Reichskanzlers vom 28. April 1903
und 4. Juni 1913, durch welche vor allem die Wahrung des
Wahlgeheimnisses gesichert werden soll. Die Stimmzettel müssen
nach diesen Vorschriften von weißem Papier in der Größe
von 9 zu 12 cm hergestellt sein, dürfen mit keinem Kennzeichen
versehen sein und sind von dem Wähler in einem mit amtlichem
Stempel versehenen, undurchsichtigen Umschlage (Größe 12—15)
abzugeben, in welchen der Wähler seinen Zettel unbeobachtet zu
legen hat. Um letzteres zu ermöglichen, sind wieder Nebenräume
bereitzustellen, welche nur durch das Wahllokal betretbar und
mit diesem unmittelbar verbunden sind, oder sonstige Vorrich-
tungen an besonderen vom Vorstandstisch getrennten Nebentischen
zu treffen. Auf den Vorstandstisch wird ein verdecktes Gefäß
(Wahlurne) gestellt, das im Innern mindestens 90 cm hoch
sein und mindestens 35 cm von einander abstehende gegenüber-
liegende Wände haben muß (Wahlregl. § 11). Das Wahlregl.
enthält außerdem Bestimmungen über die Bildung der Wähler-
listen und die Wahlbezirke, den Gang der Wahlhandlung, die Er-
mittlung des Wahlergebnisses und die Stichwahl.
1. Wähler (aktiv-wahlberechtigt)
ist jeder 25jährige männliche Deutsche in dem
Bundesstaat, in welchem er seinen Wohnsitz hat.
Auch dieser Satz ist eine Folge davon, daß der Reichstag
als Vertretung des gesamten deutschen Volkes gilt. Es ist
also gleichgültig, ob der Wähler auch die Staatsangehörigkeit
(oben S. 216) des Bundesstaats besitzt, in welchem er sein Wahl-
recht ausübt. Voraussetzungen sind vielmehr nur: Reichsange-