§ 35. Der Reichstag. 251
Nach § 9 II des Schutzgebietsgesetzes sind die dort natura-
lisierten Reichsangehörigen wählbar; dagegen sind der Kaiser,
die Landesherren, die regierenden Bürgermeister der Freien Städte
nicht als in den Reichstag wählbar anzusehn, denn sie haben ihr
Organ im Bundesrat. Anderseits sind die Mitglieder der
landesherrlichen Familien und die hanseatischen Senatoren wähl-
bar. Eine dem Art. 74 IU. Pr Vu. (Mitglieder der Oberrech-
nungskammer) entsprechende Vorschrift für den Rechnungshof
des Deutschen Reichs besteht nicht. Bundesratsmitglieder (z. B.
der Reichskanzler) sind an sich wählbar; wenn sie die Wahl
annehmen, scheiden sie nach RV. Art. 9, 2 aus dem Bundes-
rat aus.
3. Die Legislaturperiode (Art. 24)
ist durch RG. vom 19. März 1888 von drei auf
fünf Jahre verlängert (S. 202). Streitig ist, ob diese
fünf Jahre vom Tage der allgemeinen Wahlen (so die
herrschende Ansicht; vgl. auch Art. II § 8 III des R.
vom 31. Mai 1911 für Elsaß-Lothringen) oder vom
Tage des ersten Zusammentritts des Reichstages an zu
berechnen sind. Auf je 100 000 Seelen soll nach dem
Wahlgesetz ein Abgeordneter kommen. Der Reichstag,
welcher im Norddeutschen Bunde 297 Mitglieder hatte,
zählt (nachdem für Bayern 48, Württemberg 17, Ba-
den 14, Südhessen 6 und für Elsaß-Lothringen 15 Mit-
glieder hinzugekommen sind) 397 Mitglieder, was
der gegenwärtigen Bevölkerungsziffer (am 1. Dezember
1910: 64 925 993) freilich nicht mehr entspricht.
4. Das Wahlver fahren.
a. Anordnung und Festsetzung des Tages der
allgemeinen Wahlen erfolgt durch Kaiserliche Verordnung
(Wahlges. § 14). Die allgemeinen Wahlen (nicht aber
auch die Stichwahlen) erfolgen im ganzen Reich an
einem vom Kaiser zu bestimmenden Tage von 10 Uhr
vorm. bis 7 Uhr nachm.
8. Jeder Abgeordnete wird in einem besonderen
Wahlkreise gewählt (über Abänderung der Wahl-
kreiseinteilung vgl. Wahlges. § 6 und dazu RG. vom
20. Juni 1873, 18. Febr. 1906, 22. Juli 1913; für El-
saß--Lothringen genügt Bundesratsbeschluß, R. vom 25.
Juni 1873 § 6 II). Jeder Wahlkreis ist wieder in
Wahlbezirke geteilt. Für jeden Wahlbezirk ist vom
Gemeinde= oder Ortsvorstand eine Wahlliste anzufertigen