Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

8 49. Versicherungswesen. 375 
und Gesetzgebung des Reichs u. a. das Versicherungs- 
wesen. 
Die herrschende Ansicht (Laband, Rosin gegen G. Meyer und 
Piloty) sieht in der sozialpolitischen Versicherung keine Versiche- 
rung im Rechtssinne, weil kein aus Leistung und Gegenleistung 
sich zusammensetzendes Vertragsverhältnis, sondern ein einseitige 
Pflichten und einseitige Rechte begründendes öffentlich-rechtliches 
Verhältnis vorliege. Von diesem Standpunkt aus muß man 
freilich in der Arbeiterversicherungsgesetzgebung eine stillschwei- 
gende Erweiterung der Reichskompetenz erblicken; denn die, rich- 
tiger Ansicht nach (anders G. Meyer) nur „enuntiative, 
nicht dispositivece“ Wendung in der Präambel der NV.: 
„. . schließen einen ewigen Bund zur Pflege der Wohlfahrt 
des deutschen Volkes“ (S. 212) begründet keine Zuständigkeit zum 
Erlasse jener Gesetze. Ihrem inneren Wesen und wirtschaftlichen 
Zwecke nach ist dagegen die soziale Versicherung der vertrags- 
mäßigen Versicherung verwandt. Von der Armenpflege unter- 
scheidet sie sich dadurch, daß sie den Begünstigten ganz bestimmte 
Ansprüche gewährt und die von ihr gewährten Leistungen nicht 
als öffentliche Armenunterstützungen mit der Folge einer Be- 
schränkung politischer Rechte anzusehen sind (vgl. RVO. § 118, 
Angest V. § 92). . 
2. Das Programm der Arbeiterversicherung findet 
sich in der Kaiserlichen Botschaft vom 17. No- 
vember 1881. 
Es wurde zunächst verwirklicht durch das Krankenver- 
sicherungsgesetz vom 15. Juni 1883, das Unfallver- 
sicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 und das Invaliden--- 
versicherungsgesetz vom 22. Juni 1889. Bahnbrechend 
und vielfach für fremde Staaten vorbildlich, verfolgte das Reich 
den eingeschlagenen Weg durch immer weitere Ausdehnung und 
Umgestaltung der sozialen Versicherung. Gelegentlich der durch 
die len Trimborn (§ 15 des Zolltarifgesetzes vom 25. Dezember 
1902) angebahnten Einführung der Hinterbliebenenver- 
sicherung wurde die bisherige Gesetzgebung zwecks Vereinheit- 
lichung und Vereinfachung der Organisation einer eingehenden 
Revision unter abermaliger Ausdehnung der Versicherungspflicht 
unterworfen. 
  
hausen, Weymann (11ff.), Stier-Somlo (11 ff.). Hand- 
ausgaben von Düttmann ufsw. (11 ff.), Follmann ufw. 
(12/13), Kohler (11), Laß (12/13), Manes ufw. (12), Stier- 
Somlo (13). Zum Angest VG.: Kommentare bzw. Hand- 
ausgaben von Cuno (12), Düttmann ufw. (13), Haber- 
mann (2. A. 12), Hagen (12), Manes-Königsberger 
(12), Menzel ufw. (13), Potthoff (12), Stier-Somlo 
(13). Zum VMel. und VV#G. vgl. die Literaturangaben in H. II 
8 40.
	        
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