Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

28 § 5. Die Staatsgewalt. 
sind sie nur Gebietskörperschaften von England; denn ihre Selbst- 
ständigkeit gründet sich auf englische Gesetze und kann ihnen — 
der Theorie nach — durch englische Gesetze wieder entzogen 
und beschränkt werden. Anderseits ist Agypten, obgleich es 
einer gewissen Oberherrschaft (Suzeränität, S. 115) des Sultans 
untersteht, ein Staat; denn seine Staatsgewalt steht ihm aus 
eigenem Rechte zu, nicht kraft Delegation durch den Sultan. 
Agypten ist autonom, daher Staat, wenngleich nicht ganz un- 
abhängig, daher nur halbsouverän. 
8. Mit der Kennzeichnung der Staatsgewalt als der 
einzigen Macht aus eigenem Recht ist auch das Unter- 
scheidungsmerkmal zwischen dem Staat und den in ihm 
bestehenden Gebietskörperschaften (Kommunal-= 
verbänden) gegeben. Der Staat übt eine autonome, 
der Kommunalverband eine delegierte Staats- 
gewalt aus. Wenn die preußischen — durch Staatsgesetze 
organisierten — Gemeinden Steuern (Kommunalabgaben) 
erheben, so tun sie das kraft Delegation, nänlich 
auf Grund eines sie dazu ermächtigenden Staatsgesetzes 
(Pr. Kommunalabgaben G. vom 14, Juli 1893 § 1); wenn 
der preußische Staat Steuern erhebt, so geschieht dies 
nicht kraft reichsgesetzlicher Ermächtigung, sondern kraft 
der ihm als Staat begrifflich zustehenden — und durch 
das Reich nicht entzogenen — Finanzhoheit. 
Rehm findet das Unterscheidungsmerkmal zwischen Staat 
und staatlicher Gebietskörperschaft vor allem in dem Verhältnis 
zum Völkerrecht. Wenn die Beziehungen eines Landes- 
teils zu dem ihm übergeordneten Gemeinwesen sich nach dessen 
Staatsrecht richten, liege eine untergeordnete Gebietskörperschaft 
(Provinz, Gemeinde) vor; wenn für das Verhältnis Völker- 
recht eingreife, so wäre die untergeordnete Gebietskörperschaft 
ein — wenngleich nicht souveräner — Staat. Die selbständigen 
Teile des alten Deutschen Reichs seien Staaten, nicht Provinzen 
gewesen; denn der Westfälische Friede hätte ihnen das ius foederum 
et legationum sowie das ius belli ac pacis gegeben und sie damit 
zu völkerrechtlichen Rechtssubjekten gemacht. # " 
. Die Auffassung der Staatsgewalt als einer jede 
andere Macht im Staate überragenden Gewalt ist erst 
ein Ergebnis der neueren Entwickelung. Im mittelalter- 
lichen und neuzeitlichen Ständestaat (S. 84 f.) gab es Ge- 
walten, die sich nicht von der landesherrlichen Staats- 
gewalt herleiteten, ihr daher auch nicht untergeordnet, 
sondern gleichgeordnet waren. In Deutschland hat erst 
das 19. Jahrhundert mit diesen der Staatsgewalt ko- 
 
	        
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