Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

8 63. Der gegenwärtige Rechtszustand in Elsaß-Lothringen. 487 
fung muß alljährlich und gleichzeitig erfolgen. Eine 
Vertagung gegen den Willen der Kammer darf 30 
Tage nicht übersteigen. Die Auflösung einer Kammer 
hat den Schluß der Sitzungsperiode der andern zur 
Folge. Die aufgelöste Kammer muß binnen 90 Ta- 
gen wieder versammelt werden. 
d. Die Mitglieder des Landtags schwören Gehorsam der 
Verfassung und Treue dem Kaiser; die Eidesleistung ist Vor- 
bedingung für die Ausübung der Mitgliedschaft. Die Landtags- 
mitglieder genießen die Immunität der Reichstagsabgeord- 
neten (innerhalb von Elsaß-Lothringen, vgl. S. 583 f.). Sie sind 
Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Instruktionen 
nicht gebunden. Sie erhalten Entschädigung nach Maßgabe eines 
besonderen Landesgesetzes (vom 16. Juli 1912). Niemand kann 
Mitglied beider Kammern sein (Inkompatidbilität). 
e. Die Verhandlungen des Landtages sind öffentlich, die 
Geschäftssprache deutsch (S. 482). Die Mitglieder des 
Winisteriums und ihre Vertreter haben jederzeit das Recht auf 
Anwesenheit und Anhörung in den Kammern, ihren Abteilungen 
und Kommissionen. 
f. Die Ordnung des Geschäftsganges und der 
Disziplin über die Kammermitglieder erfolgt durch eine Ge- 
schäftsordnung, die Wahl des Präsidiums und Büros erfolgt 
durch die Kammer. 
g. Die Kammern haben das Recht der Initiative und 
der Interpellation (S. 254). Gesetzentwürfe der Regie- 
rung (mit Ausnahme des Etatsgesetzes, S. 484) können zuerst der 
ersten oder der zweiten Kammer vorgelegt werden. 
b. Die rechtliche Natur des Reichslandes. 
1. Durch den Frankfurter Frieden ist das Reich 
als solches Rechtsnachfolger des französischen Staats ge- 
worden. Es steht ihm daher die Staatsgewalt nicht auf 
Grund der Verfassung in gewisser Beschränkung, sondern 
auf Grund dieses Friedens im vollen Umfange zu. Hieraus 
folgt: Elsaß-Lothringen ist kein selbständiger Bundes- 
staat, nicht Mitträger der Souveränität des Reichs (wie 
z. B. Preußen), sondern „Reichsland“, ein Verwaltungs- 
bezirk des Reichs. 
Daran hat auch die neue Verfassung im Grunde nichts ge- 
ändert. Zwar hat es eine Vertretung mit beschließender Stimme 
im Bundesrate, der den Träger der Reichsgewalt darstellt. Diese 
Stimmführung ist aber dadurch bedingt, daß die Staatsgewalt 
in Elsaß-Lothringen vom Kaiser, und zwar nicht als Landes- 
souverän, sondern als Organ des Deutschen Reichs, ausgeübt und 
die Landesregierung durch einen vom Kaiser ernannten Statt-
	        
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