8 72. Die Freiheitsrechte. 543
b. Aber auch außerhalb des gesetzlich ge-
regelten Gebiets beeinträchtigt die rechtmäßige Hand-
habung der Staatsgewalt das Vermögen der Untertanen in
mannigfacher, nicht minder einschneidender Weise. Eine
Polizeiverordnung verpflichtet z. B. nach §8 6 des Pol Verw G.
(S. 672) die Hausbesitzer der Stadt zum Anschluß an die
städtische Wasserleitung und Kanalisation; können die
Hausbesitzer von der Stadtgemeinde Ersatz der An-
schließungskosten beanspruchen? Zur Beantwortung ist
auf das ältere Recht (vgl. Pr VU. Art. 109) zurückzugehn.
1) ALR. Einl. § 75 (aufrechterhalten durch AUGBB. Art. 89)
bestimmt, daß der Staat denjenigen, der seine besonderen Rechte
und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern ge-
nötigt werde, zu entschädi igen geh gehalten sei, und ALR. I, 8, 31
(aufrechterhalten durch Art. 89) velbsichlt den
Staat, für die Entschädigung en Eigentümers zu sorgen, dessen
Recht zur Abwendung eines beträchtlich überwiegenden Schadens
oder zur Verschaffung eines solchen Vorteils, sei es des Staates
selbst oder anderer Bürger, eingeschränkt wird. Beide Vor-
schriften sind durch die, nach Ansicht des Reichsgerichts (RGZ. 72
88; vgl. auch RG3. 64 186 über die allgemeine Geltung von
ALR. Einl. 8 75) in den neuen Provinzen ebenfalls anwendbare
AKO. vom 4. Dezember 1831 authentisch interpretiert worden:
wenn das Interesse der Gesamtheit eine „Einrichtung in
der Verwaltung“ fordere, die das Privateigentum des ein-
zelnen gefährdet, so sei die Entschädigung des einzelnen aus dem
Gesamtvermögen zu leisten. Indem den Einrichtungen in der
Verwaltung die Betätigung der Hoheitsrechte im histo-
rischen Sinne (z. B. der Justizhoheit, der Militärverwaltung,
der Aufsicht über öffentliche Verbände, der Gesetzgebung, RG#.
79 64, einschließlich — ALR. II, 13, 6 — des Erlasses allgemeiner
Polizei verordnung en) gegenübergestellt wurde, gelangte die
herrschende Meinung dazu, nur die ersteren als „anfpruch-
erzeugende Staatsakte“ (Anschütz) beim Eingriff in wohlerworbene
Rechte anzuerkennen.
2) Auf das vor allem in Betracht kommende Gebiet der
Polizei angewendet, führt der so gefundene Grundsatz dazu,
den Entschädigungsanspruch aus ALR. Einl. 8 75 zuzulassen beim
Erlasse polizeilicher Verfügungen (S. 673), sofern sie nicht
lediglich allgemeine gesetzliche Eigentumsbeschränkungen verwirk-
lichen (vgl. ALR. I, 22, 1 und. 2, L. III § 182), dagegen abzu-
lehnen beim Erlasse von allgemeinen Polizeiverordnungen.
In dem obigen Beispiel ist daher ein Schadensersatzanspruch der
auzbesier nicht gegeben (uvgl. RG# Z. 45 251 und im allgemeinen
III § 18a Anm. 26). Über die eigenartige Begründung des
Ersatzanspruchs der Straßenanlieger bei Veränderung öffentlicher
Wege vgl. L. I 8 29 II b 3 u. Ob eine polizeiliche Ver-
Heilfron, Staats= und Verwaltungsrecht. 36