546 § 72. Die Freiheitsrechte.
früheren Fassung ein besonderes Gesetz über das ganze
Unterrichtswesen, und Art. 112 beließ es bis zu dessen
Erlasse bei den geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Es
war streitig geworden, ob die Regelung durch ein ein-
ziges umfassendes Gesetz erfolgen müsse oder auch meh-
rere einzelne Gesetze zulässig seien. Zur Beseitigung
dieser Streitfrage schreibt der Art. 26 in der Fassung
des PrG. vo,m 10. Juli 1906 (lex Schiffer) unter
Vereinigung des Inhalts beider Artikel und unter for-
meller Aufhebung des Art. 112 lediglich die Regelung
des Schul= und Unterrichtswesens „durch Gesetz“ vor
und erhält „bis zu anderweitiger gesetzlicher Regelung“
das geltende Recht aufrecht. Die Suspension der Art.
20—25 ist im übrigen geblieben, außer soweit die ein-
zelnen Artikel durch Spezialgesetze zur Ausführung ge-
langt sind (vgl. ferner unten 8).
Als Ausführungsgesetze sind namentlich anzuführen: zu
Art. 23 I: Das PrE. vom 11. März 1872, betr. die Beauf-
sichtigung des Unterrichts= und Erziehungswesens, zu Art. 24 I,
III und 25: das VolksschulunterhaltungsG. vom 28. Juli 1906
und die verschiedentlich abgeänderten und ergänzten Gesetze vom
26. Mai 1909, betr. das Diensteinkommen der Lehrer und
Lehrerinnen an den öffentlichen Volksschulen, vom 6. Juli 1885,
betr. die Pensionierung derselben, vom 4. Dezember 1899, betr.
die Fürsorge für die Witwen und Waisen derselben, vom 14. Juni
1888, betr. die Erleichterung der Volksschullasten, usw.
Ob infolge der Suspension die Regierung bis zum Erlaß
eines allgemeinen Unterrichtsgesetzes ein unbeschränktes Verord-
nungsrecht in Schulangelegenheiten hat, ist streitig (vgl. S. 577).
18, Arti 20 brstimmt: „Die Wissenschaft und
ihre Lehre ist frei“. Auch diese Vorschrift ist suspen-
diert, soweit sie sich auf die Unterrichtstätigkeit bezieht,
für welche das ältere Recht noch anwendbar ist (vgl.
Ki. § 25). Im übrigen ist dagegen Art. 20 in un-
mittelbarer Geltung, also z. B. zugunsten der wissen-
schaftlichen Forschung und der schriftstellerischen Tätigkeit
des Forschers. Maßlose Freiheit wird dadurch selbst-
verständlich nicht gewährt; nur gegen die zweckwidrige
Fesselung des Strebens nach systematischer Erkenntnis
soll die Wissenschaft geschützt sein.
Gegen diesen Grundsatz verstoßen daher beispielsweise nicht
Anordnungen über Versuche am lebenden Tiere (Vivisektion)
an den Universitäten, sofern sie den Anforderungen der Humanität