550 § 74. Der König.
Nach der herrschenden Ansicht ist die in der Verfassung
gegebene Übersicht der Kronrechte nur eine unvollstän-
dige und hat der König alle diejenigen Befugnisse be-
halten, welche ihm nicht aus drücklich durch die Ver-
fassung entzogen sind, während die Volksvertretung
nur diejenigen Rechte er halten hat, welche ihr in der
Verfassung besonders übertragen sind (vgl. S.
87). Es spricht also in Zweifelsfragen eine „praesumtio
pro rege“, z. B. betreffs der Frage, ob Gebühren zu-
gunsten des Fiskus durch Verordnung eingeführt wer-
den dürfen (vgl. S. 685).
Die hier vertretene Auffassung beruht auf der Bestimmung
des ALR. II, 13, 1: „Alle Rechte und Pflichten des Staates.
gegen seine Bürger und Schutzverwandten vereinigen sich in dem
Oberhaupte desselben“, wonach also dem König vor Erlaß der
Verfassung die Gesamtheit aller staatlichen Rechte zustand. Die
amderen beiden Ansichten (die Krone habe nur diejenigen Rechte,
welche ihr in der Verfassung ausdrücklich übertragen sind,
und ferner die mehr vermittelnde: weder die Rechte der Krone,
noch die der Volksvertretung seien in der Verfassung erschöpfend
geregelt) entsprechen nicht der Entstehungsgeschichte der Pr Vu.
Vgll. auch die Rede des Abgeordneten von Bismarck-Schön-
hausen in den Verhandlungen der II. Kammer vom 24. Sep-
tember 1849 und S. 92.
Mit der obigen Streitfrage darf nicht verwechselt werden
die Kontroverse über das Bestehen eines selbständigen Ver-
ordnungsrechts (S. 576).
2. Die Stellung des Königs im Staate hat
sich mit dem Erlaß der Pr Vll. wesentlich geändert. Wäh-
rend der König zur Zeit der absoluten Monarchie alle
Rechte in sich vereinigte (oben S. 82), also alleiniges.
Organ des Staats war, ist er nunmehr nur höchstes
Organ; er steht nicht mehr über, sondern unter der
Verfassung. Als höchstes Organ („Staatshaupt“)
ist er aber zugleich Träger der Staatsgewalt, d. h.
diejenige Person, in welcher die gesamten Machtbefug-
nisse des Staates zusammentreffen und welche sie a.
ganzes selbst auszuüben befugt ist (vgl. S. 31).
Der König ist unverantwortlich (S. 3)9.
Aber alle Regierungsakte des Königs bedürfen zu ibrer
Gültigkeit der Gegenzeichnung mindestens enes.
Ministers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit iber-
nimmt (Art. 44; S. 595). 6