Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

574 § 75. Der Landtag. 
1 Jahre dem preußischen Staatsverband angehört. Das 
bezüglich der Oberrechnungskammermitglieder S. 569 Ge- 
sagte gilt auch hier. Nach Art. 78 IV kann niemand 
Mitglied beider Kammern sein (Grundsatz der In- 
kompatibilität, vgl. Ki. 8 8a 5). 
I. Die Wahl zum Abgeordnetenhaus ist hiernach eine in- 
direkte, offene, im Gegensatze zu der direkten gehei- 
men Wahl zum Reichstage, bei welcher die Abgeordneten un- 
mittelbar von den Wählern mittels verschlossener Stimmzettel 
gewählt werden (vogl. oben S. 249). Auch die Kommunal-= 
wahlen erfolgen grundsätzlich (PrG. vom 30. Juni 1900, betr. 
die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen 
§ 1, vgl. aber die §8§ 2, 3, durch welche das Übergewicht beson- 
ders hoch besteuerter Wähler durch Berücksichtigung der den 
Durchschnitt übersteigenden Steuerbeträge und die Zulassung 
der Zwölftelung statt der Drittelung — 5/12, 4/12, 3/12 — ein- 
geschränkt wird) nach dem Dreiklassensystemr (S. 616. 
Die Verbesserung des Wahlsystems für das Abgeordneten- 
haus gehört zu den wichtigsten Forderungen der liberalen und 
der sozialdemokratischen Parteien. Die Fortschrittler und die 
Sozialdemokraten erstreben die Einführung des Reichstagswahl- 
rechts auch in Preußen. Die Regierung brachte 1910 entspre- 
chend der in der Thronrede von 1908 angekündigten „organischen 
Fortentwicklung“ des Wahlrechts eine Wahlrechtsvorlage ein, 
die an der Drittelung festhielt, jedoch das bisherige System durch 
Beschränkung des anrechnungsfähigen Steuerbetrags und Auf- 
rücken der sog. „Kulturträger“ in die nächsthöhere Abteilung 
sowie Einführung der direkten (aber öffentlichen) Wahl zu ver- 
bessern suchte. Die Vorlage wurde weder in dieser noch in ihrer 
vom Abgeordnetenhaus erheblich geänderten Gestalt Gesetz, da 
die Regierung gegenüber erneuten Abänderungsversuchen schließ- 
lich erklärte, daß sie auf die Weiterberatung keinen Wert lege. 
d. Über den strafrechtlichen Schutz des Wahlrechts vgl. 
StsB 88 107—109, auch 8 339 Abs. 3. 
Die Parteibildung im Preußischen Abge— 
ordnetenhause 
stimmt seit der Gründung des Deutschen Reiches mit der 
Parteibildung im Deutschen Reichstage (S. 258) im wesentlichen 
überein. Es finden sich auch hier die vier großen Parteien der 
Konservativen — mit den Unterarten der Konservativen 
und Freikonservativen (entsprechend den Deutschkonservativen und 
der Reichspartei im Reichstage, S. 260) —, der Liberalen — 
mit den Unterarten der Nationalliberalen und der Fortschritt- 
lichen Volkspartei —, das Zentrum und die Sozialdemo- 
kraten. Die letzteren haben sich bis zur Wahl von 1908 zwecks 
Demonstration gegen das ihren Parteigängern als der großen 
Masse der Unbegüterten ungünstige preußische Wahlsystem der 
Beteiligung an den Wahlen zum Abgeordnetenhaus enthalten.
	        
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