Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

596 8 77. Die Staatsverwaltung und staatliche Selbstverwaltung. 
entscheidet der oberste Gerichtshof der Monarchie in vereinigten 
Senaten. Solange noch zwei oberste Gerichtshöfe bestehen (es 
bestand im Jahre 1850 neben dem Obertribunal noch der Rhei— 
nische Revisions= und Kassationshof, der erst durch PrG. vom 
17. März 1852 dem Obertribunal eingegliedert wurde), treten 
dieselben zu obigem Zwecke zusammen. Die näheren Bestim- 
mungen über die Fälle der Verantwortlichkeit, über das Ver- 
fahren und über die Strafen werden einem besonderen Gesetze 
vorbehalten.“ Dies Gesetz ist bisher noch nicht ergangen (und 
kann nach Bornhak wegen der allgemeinen reichsrechtlichen Rege- 
lung, StGB. §8 81 2, 87 ff., 332, EGSt PO. 8 6, auch nicht 
mehr ergehn). Eine „Ministeranklage“ ist also zurzeit 
nicht durchführbar; deshalb ist auch die Bestimmung des Art. 
49 II Pr Vu. zurzeit ohne praktischen Wert, wonach der König 
einen wegen seiner Amtshandlungen verurteilten Minister nur 
auf Antrag derjenigen Kammer begnadigen kann, von der die 
Anklage ausgegangen ist. 
Wird ein Minister zivil= oder strafrechtlich zur Verant- 
wortung, gezogen, so ist die „Erhebung des Konflikts“ (vgl. Z. 1 
§ 12c 1 8), da es an einer vorgesetzten Behörde fehlt, ausge- 
schlossen ( eindt, anders Bornhak und OVG. 47 436). 
d. Die Minister haben Zutritt zu jeder Kam- 
mer und müssen auf ihr Verlangen zu jeder Zeit gehört 
werden; anderseits hat jede Kammer das Recht, die Gegen- 
wart der Minister zu verlangen (Pr VuU. Art. 60). Wie 
weit sie der Disziplinargewalt des Präsidenten des be- 
treffenden Hauses unterliegen, ist streitig. 
Sicher ist, daß der Präsident nicht berechtigt ist, einem 
Minister eine formelle Rüge zu erteilen, zweifelhaft aber, wie 
weit er ihn unterbrechen und auf die parlamentarischen Ge- 
pflogenheiten aufmerksam machen kann. 
über den Vortrag beim Könige bestimmte die durch 
die Ereignisse vor Bismarcks Entlassung bekannt gewordene 
ArKKO. vom 8. September 1852, daß jeder Minister, der dem 
König in Angelegenheiten seines Ressorts unmittelbar Vortrag 
halten wolle, den Ministerpräsidenten zwecks etwaiger Anwesen- 
heit vorher benachrichtigen solle. Die Kabinettsorder ist nach 
Bismarcks Entlassung aufgehoben worden; doch entspricht es der 
Sachlage, daß die Ressortminister auch jetzt noch sich mit dem 
Ministerpräsidenten in wichtigen Angelegenheiten in Verbindung 
setzen, ehe sie dem Könige Vortrag halten. 
e. Die Minister bilden die obersten Staats- 
behörden. Sie entscheiden bureaumäßig, d. h. als 
Einzelbeamte, in völliger Selbständigkeit nebeneinander, 
mit Zuständigkeit nach dem Prinzipe der Realteilung 
(„Ressorts“; ehemals Real= und Bezirksteilung, S. 511).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.