Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

§ 77. Die Staatsverwaltung und staatliche Selbstverwaltung. 601 
ministerium zu einer obersten staatsleitenden Behärde, die 
in kollegialischer Behandlung außer den ihr bereits zu- 
gewiesenen Angelegenheiten eine stets wachsende Zahl verschie- 
denartiger Aufgaben zu erledigen hat. 
8. Zu den Aufgaben des Staatsministeriums 
gehören u. a. die Mitwirkung bei Einleitung einer Regentschaft 
(Pr Vu. Art. 57, 58, S. 563), beim Erlasse von Notverord- 
nungen (Art. 63, S. 1578), die Außerkraftsetzung der Grundrechte 
gemäß § 16 des Pr G. vom 4. Juni 1851 über den Belagerungs- 
zustand, die Tätigkeit als Berufungsinstanz in Disziplinarsachen 
der nichtrichterlichen Beamten (Pr G. vom 21. Juli 1852 §88 41 ff., 
3. 1 § 32 c 3 6), Beschlußfassung auf die Beschwerde des Ober- 
präsidenten bei Eingemeindung von Landgemeinden und Guts- 
bezirken (LGO. § 2), der Antrag auf Auflösung von Stadtver- 
ordnetenversammlungen (StädteO. 8 79), Kreistagen (KreisO 
§ 179), Provinziallandtagen (ProvO. 8 122), Entscheidung über 
das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des 
Eisenbahn G. vom 3. November 1838 (Kleinbahn G. vom 28. Juli 
1892 8 1, vgl. auch § 30), Erlaß von Bestimmungen zu 88 4 
5, 9, 14 des Pr#. vom 26. Juli 1910 über die Reisekosten 
der Staatsbeamten, Vorschläge für die Besetzung gewisser Be- 
hörden (z. B. des Oberverwaltungsgerichts, PrG. vom 2. August 
1880 § 18) usw. Endlich liegt dem Staatsministerium die 
Instruierung der preußischen Bundesratsbevollmächtigten ob. 
J. Das Kollegialprinzip ist aber beim Staatsmini- 
sterium nicht dahin aufzufassen, daß den Beschlüssen schlechthin 
selbständig entscheidende Bedeutung zukäme. Dies kann der 
Fall sein, so wenn das Gesetz eine Angelegenheit der Entscheidung 
des Staatsministeriums unterstellt (Beispiele s. o.). In anderen 
Fällen bedarf es des Zusammenwirkens zwischen Staatsministe- 
rium und König (z. B. bei der Ernennung der Mitglieder des 
Oberverwaltungsgerichts). Vielfach aber handelt es sich nur 
um beratende Beschlußfassung dergestalt, daß die Entschließung 
des Königs auch im Sinne der Minderheit ergehn kann, und all- 
gemein ist 1852 bestimmt worden, daß der Finanzminister bei 
Angelegenheiten von finanzieller Tragweite nicht überstimmt 
werden kann, sondern auf seinen Widerspruch die Entscheidung 
des Königs einzuholen ist. Die Ministerverantwortlichkeit tritt 
überdies hinter dem Kollegialprinzipe nicht zurück: Der über- 
stimmte Minister wird durch den Mehrheitsbeschluß von seiner 
Verantwortlichkeit nicht befreit, muß also unter Umständen seine 
Entlassung nehmen. 
d. Der Ministerpräsident ist nicht der Vorgesetzte 
der Minister, vielmehr nur primus inter pares. Er führt die 
Geschäfte des Staatsministeriums mit Unterstützung eines be- 
sonderen Unterstaatssekretärs und einiger vortragender Räte. 
e. Vom Staatsministerium ressortieren u. a.: 
der Disziplinarhof für nichtrichterliche Beamte (Z. 1 § 32 c ZSa), 
der Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte (3. I 
§ 128), das Oberverwaltungsgericht (Z. I 12 àa 2 8 à 3), die
	        
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