Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

42 § 6. Das Wesen des Staates. 
das Herrscherrecht erstreckte. Man folgerte daraus das un- 
beschränkte Verfügungsrecht des Herrschers über Land und 
Leute wie das eines Eigentümers über seine Sache. In 
neuerer Zeit hat v. Seydel in seiner Herrschaftstheorie 
(S. 37) dieser Anschauung eine neue Begründung gegeben. 
— Der Fehler der Objekttheorie liegt vor allem darin, daß 
sie die drei anerkannten Elemente jedes Staatswesens: Gebiet, 
Volk, Staatsgewalt auseinanderreißt und die beiden ersten der 
letzteren gegenüberstellt. 
2. Der Staat ist ein Rechtsverhältnis 
(Verhältnistheorie). 
Die diese Theorie verteidigenden Schriftsteller (Loe- 
ning, Hänel, Binding) fassen den Staat auf als Rechts- 
verhältnis zwischen dem Herrscher und den Beherrschten. 
Der Staat sei eine Summe von neben und nach einander 
bestehenden rechtlich geordneten Herrschafts= und Unter- 
ordnungsverhältnissen. 
Diese Konstruktion erklärt weder die zweifellos bestehende 
Einheit des Staates, noch die Bildung des Staatswillens, noch 
die Möglichkeit, mit anderen Staaten in Rechtsbeziehungen zu 
treten; denn Rechtsverhältnisse können unter einander kein Rechts- 
verhältnis begründen. Sie erklärt ferner nicht, wie dieses 
Rechtsverhältnis entstehen soll. Denn ein solches setzt logischer- 
weise eine rechtliche Grundlage voraus; diese könnte aber erst 
durch den Staat geschaffen werden. 
. 3. Der Staat ist ein Rechtssubjekt (Per- 
sönlichkeitstheorie). 
a. Für die rechtliche Behandlung des Staates allein 
brauchbar ist die schon im Altertum verteidigte, aber erst 
von den Naturrechtlern (Hugo Grotius, Hobbes, Locke, 
Pufendorf) ausgebildete Anschauung, daß der Staat eine 
Person, eine juristische Person ist, die gleich den 
natürlichen Personen mit Rechts= und Handlungsfähigkeit 
ausgestattet ist. So erklärt sich das Erscheinen des Staats 
als eines von der Summe der Volksgenossen streng unter- 
schiedenen, über ihnen stehenden Rechtsträgers in 
staatlicher, völkerrechtlicher und privatrechtlicher Be- 
ziehung. Als Rechtssubjekt des öffentlichen Rechts be- 
zeichnet man ihn als Träger der Staatshoheits- 
rechte, in privatrechtlicher Beziehung als Fiskus (fis- 
cus, Korb -kaiserliche Kasse). So erklärt sich ferner die 
Bildung und Betätigung des Staatswillens durch 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.