Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

664 § 82. Die Polizei. 
dessen einzelnen Mitgliedern bevorstehenden Gefahren ist 
die Polizei berufen. ' 
Daher kann die Polizei dem Flugschüler die Flugversuche 
nicht um deswillen untersagen, weil er dadurch gefährdet werde. 
Wohl aber kann sie dem Flieger verbieten, Gasanstalten oder 
Sprengstofffabriken zu überfliegen (Gefährdung des Publikums), 
oder die Mitnahme von Fahrgästen (Gefährdung einzelner Mit- 
glieder des Publikums) davon abhängig machen, daß der Flieger 
durch ein Flugzeugführerzeugnis (S. 406) seine Fähigkeit dar- 
getan hat. Durch den dem Reichstage vorliegenden Entwurf eines 
Luftverkehrgesetzes wird dieses Gebiet gesetzlich geregelt werden. 
d. Lediglich die Beseitigung von Störungen und un- 
mittelbaren Gefährdungen („bevorstehende Gefahr“) 
gehört zur Aufgabe der Polizei. 
Das „Hutverbot“ für die Zuschauer im Theater (S. 164) 
ist also auch nicht aus dem Grunde zu rechtfertigen, weil infolge 
der durch die Hüte versperrten Aussicht erregte Auseinander- 
setzungen und infolgebessen eine Beunruhigung des Publikums 
eintreten könnten (OV. 61 332). 
J. Die allgemeine Klausel in ALR. II, 17, 10 ist 
unanwendbar, wo durch Sondergesetz die Be- 
fugnisse der Polizei geregelt sind. 
Indem z. B. § 8° des PrG. vom 28. August 1905 (S. 411) 
bei bestimmten Geschlechtskrankheiten polizeiliche Anordnungen 
auf Beobachtung kranker, krankheits= oder ansteckungsverdächtiger 
und auf Absonderung kranker Personen, welche gewerbsmäßig 
Unzucht treiben, zuläßt, schließt es die zwangsweise Untersuchung 
und Behandlung anderer Geschlechtskranker richtiger Ansicht 
nach aus. 
S gober die Befugnisse der Polizei im Vereinsrechte vgl. 
d. In der Regel haben sich die Anstalten der Polizei 
zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegen 
den Störer oder gegen den Eigentümer der 
in polizeiwidrigem Zustande befindlichen Sache zu richten. 
Allein entsprechend dem privatrechtlichen Notstandsrechte 
des § 904 BGB. (L. 1 8 63) ist ein polizeiliches 
Notstandsrecht anerkannt, das die Polizei zum Ein- 
griff auch in das Eigentum Unbeteiligter 
ermächtigt (z. B. Niederlegung der einem brennenden 
Hause benachbarten Gebäude zur örtlichen Beschränkung 
des Feuers), falls die unmittelbar bevorstehende Gefahr 
auf andere Weise nicht abzuwenden und der drohende 
Schaden erheblicher als der durch das Eingreifen der 
 
	        
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