Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

50 § 7. Die Rechtfertigung des Staates. 
ihm eingeborene Freiheit ist in seiner Natur begründet, 
unveräußerlich und unverzichtbar. Die Staatsgewalt steht 
den Volksgenossen zu, durch die sie begründet ist und in 
deren freien Willen sie ihre alleinige dauernde Stütze 
indet. . 
Die historische Form der Vertragstheorie wird als 
eine der geschichtlichen Erfahrung widersprechende, phantastische 
Erfindung gegenwärtig nicht mehr verteidigt. Der spekula- 
tivrrationalen Form steht — außer dem allen Ver- 
tragstheorien anhaftenden Fehler, daß sie den Staat auf eine 
Rechtsbasis gründen, die erst durch den Staat geschaffen werden 
kann (S. 47) — der Umstand entgegen, daß, wenn die jeweiligen 
Volksgenossen den Staat und die Staatsgewalt durch ihren freien 
Willen begründen und aufrechterhalten, sie auch imstande sein 
müßten, durch Aufgabe dieses Willens den Staat zur Auflösung 
zu bringen. 
d. Die Vertragslehre hat trotz ihres fehlerhaften Aus- 
gangspunktes Jahrhunderte hindurch die staatsrechtlichen 
Anschauungen beherrscht und bildet die Grundlage, auf der 
wichtige Institutionen des modernen Verfassungsrechts 
beruhen, vor allem die sog. Grundrechte (S.129) und deren 
Sicherstellung in den Verfassungsurkunden. Auf sie führt 
die französische Idee des Plebiszits (S. 95) und die 
schweizerische und amerikanische des Referendums (S. 95) 
zurück. Sie bildet die Basis zahlreicher Staatengrün- 
dungen in der neuen Welt (Pflanzungsverträge auswan- 
dernder Kolonisten, z. B. an Bord der Moyflower, 1620, 
zur Gründung von New--Plymouth, S. 128), in Anlehnung 
an die Anschauung der independenten Puritaner (calvi- 
nistischen Schotten), daß wie die Kirchengemeinde so auch 
der Staat auf einem von allen Staatsangehörigen ein- 
stimmig zu schließenden Gesellschaftsvertrage, Covenant, 
beruhe. 
5. Die philosophischen Theorien. 
a. Die psychologische Theorie 
rechtfertigt den Staat aus den dem Menschen durch die 
Natur eingepflanzten Trieben, insbesondere dem Selbst- 
erhaltungstrieb (philautia), der Furcht und dem 
Geselligkeitstrieb (socialitas, so schon Aristoteles: 
t————s 
Diese Theorie kann bestenfalls das Zusammenleben der 
Menschen und die Entstehung der Staatsgemeinschaft begründen,
	        
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