Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

§ 7. Die Rechtfertigung des Staates. 51 
aber nicht die Entstehung der Staatsgewalt und die Unterwerfung 
der Menschen unter diese rechtfertigen. 
8. Die ethische Theorie 
findet die Rechtfertigung des Staates und der Staats- 
gewalt in der sittlichen Forderung des Zusammenlebens 
der Menschen in einer geordneten Gemeinschaft. Die 
Gemeinschaft sei notwendig, um die sittlichen Kräfte der 
Menschen zur vollen Entfaltung zu bringen. Jeder in 
dieser Gemeinschaft Lebende habe daher die sittliche Pflicht, 
sich dem Staatsganzen einzufügen und dem von ihm 
ausgehenden Zwang unterzuordnen. 
Die ethische Vervollkommnungspflicht als causa remota der 
Staatsbildung ist schon von dem Naturrechtler Christian von 
Wolff (1679—1754) hervorgehoben worden. Als Verkörpe- 
rung der sittlichen Idee erscheint der Staat bei Hegel (1770 
bis 1831, „Grundlinien der Philosophie des Rechts“, 1820). 
J. Der Staat ist Vernunftnotwendigkeit. 
Diese sog. ideale Theorie betrachtet den Staat 
und die Staatsgewalt als Ergebnis vernunftgemäßer Er- 
kenntnis, nämlich der Anschauung, daß: 
a. die Staatsgemeinschaft erforderlich ist zur 
Erreichung der Lebenszwecke der Menschen, insbesondere 
der Kultur (Kohler), und zwar sowohl nach der mate- 
riellen Seite (bestmögliche Erlangung und Verwen- 
dung der Güter durch gemeinsame Arbeit) als nach der 
ideellen Seite (bestmögliche Entwicklung der geistigen 
und sittlichen Kräfte in der Gemeinschaft);: 
b. die Staatsgewalt erforderlich ist, um diese 
Lebenszwecke in Sicherheit und unabhängig von den phy- 
sischen Machtverhältnissen der einzelnen erreichen zu 
können. 
Die letztere Behauptung verwirft der (wissenschaftliche) An- 
archismus. Er geht davon aus, daß jede Herrschaft zur 
Unterdrückung des Schwachen führe. Die den Menschen ange- 
borenen Triebe gewährleisten bei richtiger Entwicklung auch ohne 
rechtlichen Zwang die Aufrechterhaltung von Ordnung und Ge- 
rechtigkeit und der Harmonie im sozialen Leben durch wechsel- 
seitige Selbstbeschränkung.
	        
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