Full text: Das öffentliche Recht des Deutschen Reichs. I. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. (1)

62 § 9. Entstehung und Untergang der Staaten. 
solches Gesetz nicht ergeht, ist das vom Träger der Staatsgewalt 
erworbene Gebiet mit dem Hauptlande nur durch Personalunion 
(S. 111 f.) verbunden (Lauenburg vom Gasteiner Vertrag, 14. Au- 
gust- 1865, bis zum PrG. vom 23. Juni 1876, S. 110; die Insel 
Helgoland vom deutsch-englischen Vertrage vom 1. Juli 1890 
bis zum R. vom 15. Dezember 1890 und PrG. vom 18. 
Februar 1891). 
2. Der Erwerb (und entsprechend der Verlust) von 
Staatsgebiet bedeutet den Erwerb der Staatsge- 
walt (des imperium) über dieses Gebiet, nicht des Ge- 
biets als Sache (des dominium). Damit werden jeden- 
falls die im erworbenen Gebiete befindlichen Staatsange- 
hörigen des bisherigen Herrschaftsstaates Angehörige des 
Erwerbsstaates. Dagegen werden die nicht in dem er- 
worbenen Gebiete befindlichen, wenn auch daraus her- 
stammenden Personen, nicht Staatsangehörige des Er- 
werbsstaates. 
Als Elsaß-Lothringen dem Deutschen Reiche einverleibt 
wurde, wurden die dort befindlichen, bisher französischen Staats- 
angehörigen Deutsche (über ihr Optionsrecht und über das 
Plebiszit in solchen Fällen vgl. S. 12). Dagegen blieben 
die z. B. nach Amerika ausgewanderten Elsaß-Lothringer Fran- 
zosen und wurden jedenfalls nicht Deutsche 
3. Im Gegensatz zur Schaffung eines Neustaates, 
die stets einen faktischen, nie einen Rechtsakt darstellt, 
weil der Vertragsgegner, eben der Neustaat, noch fehlt, 
kann sich der Erwerb (und Verlust) von Staatsgebiet 
sowohl durch tatsächliche wie durch rechtliche 
Ereignisse vollziehen. 
a. Tatsächliche Vergrößerungen 
des Staatsgebiets können eintreten: 
a. durch natürliche Umstände (Entstehen von 
Inseln, Ablenkung von Wasserläufen, Anspülung): 
b. durch kriegerische Annexion; 
Eine solche ist nach Völkerrecht nur wirksam, wenn die bis- 
herige Staatsgewalt und deren militärischer Widerstand in dem 
betreffenden Gebiet endgültig vernichtet ist; dadurch unterscheidet 
sich die Annexion von der kriegerischen Besetzung. Als Italien 
(1911) den Küstenstrich von Tripolis erobert hatte, erklärte es 
durch Dekret vom 5. November 1911 ganz Tripolis und die 
Cyrenaika für annektiert; diese Erklärung wurde aber außerhalb 
Italiens nicht als rechtswirksam erachtet. Ebenso als England 
die Annexion der Burenfreistaaten zu einer Zeit (Juli 1900) aus- 
sprach, als der Widerstand der Buren noch nicht gebrochen war. 
 
	        
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