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Unterscheidungen von Hauptland und Nebenländern, von
Mutterland und Kolonien sind in erster Linie historisch-
politischer Natur. Dieselben können sedoch auch staatsrecht-
lich von Bedeutung sein, indem die Verschiedenheit der
natürlichen und politischen Verhältnisse, welche in der Regel
zwischen dem Mutterland und seinen Kolonien besteht, meist
auch eine besondere staatsrechtliche Stellung der Kolonien
bedingen wird. Diese staatsrechtliche Sonderstellung kann
soweit gehen, dass die Kolonien, wie dies z. B. bei den
deutschen Schutzgebieten der Fall ist, vom Standpunkt der
Staatsverfassung gar nicht als Inland gelten und ihre Be-
wohner nicht das Staatsbürgerrecht des herrschenden Staates
besitzen. Aber auch derartige in losem Verband zum Mutter-
staat stehende Kolonien sind darum nicht Ausland, ihre An-
gehörigen nicht Fremde. Das Land und seine Bewohner sind
auch hièer der Staatsgewalt unterworfen; nur bilden sie keine
or ganischen Bestandteile, sondern blosse Herrschaftsobjekte
des Staates. Die sie beherrschende Staatsgewalt ist aber
ihrem Wesen nach auch staatsrechtlich mit derjenigen identisch,
welche in verschiedener verfassungsmässiger Form die übrigen
Gebietsteile des Staates beherrscht. Ob die Kolonien und
Nebenländer staatsrechtlich als Inland zu betrachten sind,
kann nur aus dem positiven Verfassungsrecht des einzelnen
Staates entschieden werden; die Frage ist in den verschiedenen
Kolonialstaaten auf verschiedene Weise geregelt.
Für das Völkerrecht ist die Verschiedenheit der staats-
rechtlichen Stellung der Gebiete eines Staates vollständig