Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

Was du dort trafst für Sitten an. 
Ich selbst erzähle dir sodann, 
Wie ich gesehn in jungen Jahren 
Der Ritter Sitten und Gebaren.“ 
„Erzähl' erst, lieber Vater, mir; 
So will ich nach dem Essen dir 
Gern Rede stehn auf deine Fragen: 
Ich weiß sehr wohl Bescheid zu sagen.“ 
„Vorzeiten, als ich noch ein Knecht 
Und mich mein Vater Helmbrecht, 
Der dein Großvater wird genannt, 
Hat oft zu Hofe hingesandt, 
Dort zu verkaufen Käs' und Eier, 
Wie das noch heute tun die Meier, 
Da nahm ich wahr der Ritter Tracht 
Und gab auf ihre Sitten acht. 
Die waren ritterlich und bieder 
Und waren nicht an Sinn so nieder, 
Wie heute man es sehen kann 
An manchem Weib und manchem Mann. 
Die Ritter kannten eine Art, 
Wie man beliebt bei Frauen ward. 
Da war ein Ding, Buhurd genanntny, 
Das tat ein Hofmann mir bekannt, 
Bei dem ich zu erkunden ging, 
Wie man mit Namen hieß das Ding. 
Sie sprengten an mit Schrein und Toben 
Und doch hört' ich sie deshalb loben, 
Die einen hin, die andern her; 
Und jeder gab sich Mühe sehr, 
Daß andere fielen in den Sand. 
Bei Leuten, die von unserm Stand, 
Ist nie ein solches Spiel geschehn, 
Wie ich's bei Hofe dort gesehn. 
Wenn sie nun das beendet hatten, 
Zum Tanz sie dann zusammen traten, 
Mit fröhlichem Gesange, 
Da ward' die Zeit nicht lange. 
Es schritt ein Spielmann schnell heran, 
Und als er hub zu geigen an, 
Erhoben sich die Frauen, 
Gar lieblich anzuschauen. 
Der Ritter drauf gegangen kam 
1) Buhurd ist ein ritterliches Turnier, 
einander rannten. 
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Und bei der Hand die Dame nahm. 
Ei, da war Wonne viel zu schaun 
An Rittern und an schönen Fraun. 
Das war gar süße Augenweide! 
Wenn Junker so und Fräulein beide, 
Hin tanzten da in vollen Freuden, 
Und reich und arm tat man nicht scheiden. 
Und als beendet Tanz und Spiel, 
Da las ein Sänger vor gar viel 
Von einem Herzog, Ernst genannt, 
Woran ein jeder Freude fand, 
Das konnt' in reichem Maß er bleiben. 
Da tät' der eine Pfeile treiben 
Mit seinem Bogen nach dem Ziel. 
Es war da Freud' und Kurzweil viel: 
  
Ein andrer pirschte durch den Wald. 
Wer damals als der Schlechtste galt, 
Der gält' wohl für den Besten heut'. 
Sehr gut wußt' man in frührer Zeit, 
Wie Treu' und Ehre ward gemehrt, 
Die jetzt in Falschheit ist verkehrt! 
Fürwahr, der Böse und der Schlechte, 
Der da verkehren wollt' das Rechte 
Und Schickliche in böse Sitten, 
War bei dem Hofe nicht gelitten; 
Ihm ward da Speise nicht gewährt. 
Doch heute wird als klug verehrt, 
Wer lügen recht und trügen kann; 
Der ist bei Hof der beste Mann 
Und hat an Gut und hat an Ehr, 
Daß Gott erbarm'! wohl zehnmal mehr, 
Als wer in braven Sitten lebt 
Und seinem Gott zu dienen strebt. 
Das sag'’ ich von der alten Sitt’. 
Nun, Helmbrecht, ehre mich damit 
Und melde von der neuen mir.“ 
„Gern tu' ich den Gefallen dir. 
Bei Hof' steht also jetzt das Ding: 
Trinke, Herre, trinke, trink! 
Trinke dies, dann trink' ich das. 
Ist's nicht am besten unterm Faß? 
Vernimm, was ich dir will verkünden: 
Vor Zeit traf man den Rittersmann 
Wohl meist bei schönen Frauen an, 
  
Jetzt aber muß man sie erschauen 
wobei ganze Scharen hoch zu Roß gegen-
	        
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