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matten Glieder der Ruhe auf hartem Lager von Reisig oder auf einer groben
Decke überlassen, einige Stunden ohne Beschäftigung mit dem Göttlichen ver—
streichen zu lassen; ja, so weit geht es, daß sie selbst während der natürlichen Er—
quickung beständig der heiligen Schrift lauschen und lieber den Geist als den Leib
speisen wollen. Sie enthalten sich aber alle zusammen des Fleischgenusses. Einige
aber halten sich von allen feineren Speisen und vom Weine fern und bedienen
sich bisweilen der Hülsenfrucht, bisweilen auch nur des Brotes und Wassers zur
Nahrung
Keinem Weibe steht jemals aus irgend einem Grunde, selbst nicht unter dem
Vorwande des Gebets, der Eintritt offen. Alle Werkstätten der verschiedenen Hand-
werker, d. h. der Bäcker, Schmiede, Weber u. a., liegen drinnen, damit keiner von
ihnen einen Grund zum Hinausgehen habe, und sind aufs sorgfältigste abgezäunt.
Das Tor liegt auf dem äußeren Vorhofe. Dort weilt beständig ein erprobter und
frommer Bruder, empfängt alle ankommenden Gäste, Pilger, Armen freundlich
und gütig, gleichwie Christum selbst, und führt sie erst, nachdem ihnen vorher die
Füße gewaschen worden und alle Pflichten der Menschenliebe in Demut erfüllt
sind, zum Betsaal und von da in die gastliche Zelle. Wenn aber eine Frau, um
eine Ermahnung zu erhalten oder eines anderen Geschäftes wegen ankommt, so
wird sie draußen gelassen, und der Vater des Klosters oder einer der Brüder
spricht mit ihr nicht im Hause und nicht allein, sondern unter freiem Himmel und
auf offenem Platze, der nur wegen des Regens ein leichtes Dach hat. Andere
aber schließen die Frauen zwar, wenn sie zu beten kommen, nicht vom Betsaal
aus; aber in die inneren Räume der Brüder lassen sie sie nicht hinen
Ferner hüten sie sich selbst mit solcher Sorgfalt, daß sie nicht nur vor größeren
Vergehen zurückschrecken, sondern auch vor den kleinsten und geringsten, und
solchen, die uns wegen der Gewohnheit als unbedeutend gelten, zügeln ihre Sinne
so, daß sie, ausgenommen wenn sie mit Gott allein und dem Vater der Ver-
einigung sprechen, mehr durch Winke und Zeichen, als durch Worte das Not-
wendige voneinander fordern. Wenn aber einer in irgend Etwas und wäre es
das Geringste aus menschlicher Schwäche, Nachlässigkeit, Leichtsinn verstoßen hat,
so kommen sie an einem dafür bestimmten Orte um die erste oder dritte Stunde
zusammen, beichten dort nach vorheriger Anrufung des göttlichen Beistandes de-
mütig ihre Schuld und bessern sich in Liebe wechselseitig. Der Vorsteher richtet sie
dort sitzend mit mildem Ernst ohne Zorn und Streit
.. Sie haben sich über den ganzen Umkreis der Erde in fruchtbarer und
reicher Fülle verbreitet und an Verdienst und Zahl binnen kurzem ins Un-
geheuere vermehrt, und sie strahlen vom Glanze ihrer Zeichen, leuchten durch
ihre Tugenden, werden durch göttliche Offenbarung öfters aufgerichtet und
bringen häufig durch ihre engelgleiche und göttliche Erscheinung Trost beim Ab-
scheiden aus diesem Leben. Die Kranken heilen sie, vertreiben die bösen Geister,
haben bisweilen — soweit das im Leben möglich ist — eine Vorahnung von der
Anmut des himmlischen Vaterlandes durch ihr geistiges Auge und bringen des-
wegen, obwohl durch Arbeit aufgerieben, durch Nachtwachen erschöpft, durch
Fasten geschwächt, nach Art der Zikaden, die mehr zu zirpen pflegen, wenn sie
hungrig sind, fast die ganze Nacht mit dem Gesang von Pfalmen, Hymnen und
geistlichen Liedern wachend zu. Sie hausen aber am zahlreichsten, wie einst in
Agypten, so jetzt in Frankreich und Deutschland, so daß man sich sicher über die
Übertragung der Macht und Weisheit vom Morgenland auf das Abendland