Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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Messe den Leuten zu küssen; die mußten Geld geben und glaubten dann, dieser 
Heilige, dessen dieses Gebein, Haar, Kleid gewesen wäre, täte nun Fürbitte bei 
Gott. Da waren auch schier unzählige Bruderschaften gestiftet, darein sich ein 
Rott zusammentäten, sich einschreiben ließen, hatten eigene Pfaffen, Altäre, 
Kapellen, Kerzen, Rauchfässer, etliche eigene Feiertage, da sie die Bruderschaft 
mit Messehalten begingen, den Pfaffen opferten. Dazu war auch ein eigenes 
Einkommen, Zins und Rent gestiftet, es sollte auch selig machen. Es mochten 
Mönch, Nonne geistlich werden, wer da wollte, durften Vater und Mutter dem 
Kind nicht wehren, und das Kind durfte Vater und Mutter nicht gehorsam sein 
in diesem Falle. Und die Ehelichen liefen zuweilen auch voneinander; das eine 
ward in einem Orden geistlich, so mußte das andere wie eine Witwe allein 
bleiben, sich behelfen, wie es konnte, oder mochte wieder ehelich werden 
Den Papst hielt man als den wahren Gott und Menschen, der nicht irren 
konnte, und dem niemand dreinreden durfte. Ja, der Papst litt es auch nicht, tat 
Kaiser, Könige, Fürsten, Land, Leute in Bann, hetzte sie ineinander. In Summa: 
„Er war der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der sich überhebt 
über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt“ 1). Aber hiervon sind genug Bücher 
geschrieben, vom Jahre 1517 bis aufs Jahr 1541, in welchem dieses Summarium 
geschrieben ist. · 
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Luther im Augustinerkloster in Erfurt. 
1606. 
Quelle: Luthers eigene Mitteilung. 
Fundort: Albert Richter a. a. O. S. 142—144. 
Da ich zu Erfurt in der hohen Schule angefangen hatte, in guten Künsten 
und in der Philosophie zu studieren, und darin so viel gefasset und gelernet hatte, 
daß ich Magister worden war, hätte ich daselbst nach dem Exempel der andern die 
Jugend wiederum lehren und unterrichten können, oder aber hätte mögen fort— 
fahren und weiter studieren. Aber ich verließ meine Eltern und verwandten 
Freunde und begab mich wider ihrer aller Willen in das Kloster und zog eine 
Kappe an. Denn ich war überzeugt, ich würde in demselben Stande und mit 
solcher harten, sauern Arbeit Gott einen großen Dienst tun. Und war doch mein 
Gelübde nicht einer Schlehen wert, denn ich zog mich damit aus Gewalt und 
Willen der Eltern, die mir von Gott geboten waren. Es hat aber Gott gewollt, 
wie ich nun sehe, daß ich der hohen Schule Weisheit und der Klöster Heiligkeit 
aus eigener und gewisser Erfahrung, das ist aus vielen Sünden und gottlosen 
Werken, erführe, daß das gottlose Volk nicht wider mich, ihren zukünftigen Gegner, 
zu prangen hätte, als der unerkannte Dinge verdammet. Darum bin ich ein 
Mönch gewesen und noch. 
Ich ging ins Kloster, weil ich an mir verzweifelte. Ich habe immer gedacht: 
O, wann willst du einmal fromm werden und genug tun, daß du einen gnädigen 
Gott kriegst? Wir waren unter solchen Menschensatzungen auferzogen, die uns 
Gott verdunkelt hatten; ich meinte so, durch meine Möncherei genug zu tun. 
Mein Vater war übel zufrieden und wollte mir's nicht gestatten; er ant- 
wortete mir schriftlich wieder und hieß mich Du — vorher hieß er mich Ihr, wie 
ich Magister geworden — und sagte mir alle Gunst ab. 
1) 2. Thess. 2, 3 ff.
	        
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