Full text: Wilhelm Heinzes Quellen-Lesebuch zur vaterländischen Geschichte für Lehrerbildungsanstalten und höhere Schulen. Erster Teil. Deutsche Geschichte bis 1648. (1)

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nachteten, und der weit hinaus unermeßliche und einer anderen Welt, möchte ich 
sagen, angehörige Ozean wird selten von Schiffen aus unserer Zone besucht. Wer 
ferner — abgesehen von den Gefahren des stürmischen, unbekannten Meeres — 
möchte Asien oder Afrika oder Italien verlassen, um nach Germanien zu ziehen, 
einem Lande ohne Schönheit, mit rauhem Klima, unerfreulich dem Bebauer wie 
dem Beschauer — es sei denn sein Vaterland? 
Sie feiern in alten Liedern — bei ihnen die einzige Art von Denkschrift 
und Jahrbuch — den Tuisto), einen erdgebornen Gott, und seinen Sohn 
Mannus:2), Ursprung und Ahnherrn des Volkes. Dem Mannus geben sie drei 
Söhnes), nach deren Namen die zunächst dem Ozean wohnenden Ingävonen, 
die in der Mitte Hermionen, die übrigen Istävonen heißen sollen. Einige 
behaupten die Bezeichnung Germanien sei neu und vor kurzem erst 
dem Lande beigelegt, weil die, welche zuerst den Rhein überschritten und die 
Gallier zurückdrängten, jetzt Tungrer") genannt, damals Germanens) hießen. 
Was so eines Stammes, nicht des Volkes Name war, sei dadurch allmählich 
zu größerer Geltung gelangt, so daß alle zuerst nach dem Sieger, um sich furcht- 
barer zu machen, bald auch untereinander den einmal vorgefundenen Namen 
Bermanen brauchten. 
3. Auch Herkuleso), erzählt man, sei bei ihnen gewesen, und ihn besingen 
sie als den ersten aller tapferen Männer, wenn sie in die Schlacht ziehen wollen. 
Auch haben sie eine Art Lieder, durch deren Vortrag, von ihnen Barditus7) 
genannt, sie den Mut entflammen, während der Gesang selbst als Wahrzeichen 
für den Ausgang der bevorstehenden Schlacht gilt. Denn je nachdem er klang, 
drohen oder zittern ganze Heere; auch scheinen jene Lieder weniger in Worten, 
als in Ausbrüchen der Kampflust zu bestehen. Erstrebt wird dabei vorzüglich 
Rauheit des Klanges und ein gebrochener, dumpfer Ton, indem sie die Schilder 
an den Mund halten, damit um so voller und mächtiger die Stimme durch die 
Resonanz anschwellll 
Aber ihm war aus reichen und zuverlässigen Berichten das Leben unserer Vorfahren nach 
allen Richtungen hin bekannt. Er konnte es daher wohl unternehmen, die Grundzüge der 
Verfassung, des militärischen Brauches, der Religion und Sitte des fremden Volkes zu 
entwerfen. Das Werk war als Zweckschrift gedacht, als Sittenspiegel für die verkommenen 
Landsleute des Verfassers und zugleich als Völkerbeschreibung, durch die die Römer ein 
jestes Urteil über ihre gefährlichsten Gegner gewinnen konnten. Für die germanische 
Altertumskunde gibt es kein wichtigeres Buch. Als man es im 15. Jahrhundert aus dem 
Staube des Hersfelder Klosterarchivs hervorzog, wurde es gleich bei seinem ersten Er- 
scheinen als ein libellus aureus, als ein „goldenes Büchlein“, mit Jubel begrüßt, und es 
ist seitdem die Grundlage unserer Kenntnis der germanischen Vorzeit geblieben. 
1) Tuisto oder Tuisko — aus derselben Pürzel wie zwei (twist = Zwist) — ist 
vielleicht als Doppelwesen gedacht, das, Mann und Frau in sich vereinigend, den Mannus, 
den Menschen, erzeugte. 
*5) Mannu, d. i. Mann, Mensch, bedeutet wahrscheinlich der Denker (vgl. Mann, 
meinen). 
5) Ingo, Isto, Hermino. 
*!) M sie erinnert der Name ihrer einstigen Hauptstadt Tongern (u. von Lüttich). 
25) Der Name „Germane" ist höchstwahrscheinlich keltischen Ursprungs. Die Bedeutung 
ist unsicher: entweder „guter Schreier“ oder „Nachbar“. 
*/) Herkules ist der westgermanische Donar; doch wird dieser von den Römern auch 
als Jupiter aufgefaßt (vgl. Seite 38. Anm. 4). 
) Barditus bedeutet entweder „Schildgesang“ oder „Bartrede“. Einen Sängerstand, 
cheman Früher in Anschluß hieran annahm (vgl. Klopstock), hat es bei den Germanen 
nicht gegeben.
	        
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